2006/02/09

Bombay (9.2.2006)


Pict2357
Originally uploaded by schlagwein.
(eMail vom 8.2.2006)

Hallo liebe Freunde!

Seit gestern bin ich reich, sehr reich sogar.
Egal, welchen Lebensstandard man wo immer auf dieser Welt gewohnt ist, egal ob man reich und schön ist (Hallo Anna!;-)) oder arm wie eine Kirchenmaus – jeder von uns glaubt, eine gewisse Vorstellung zu haben, wie es wohl in der Dritten Welt abgeht…
Vergeßt all das! Vergeßt die Palmen am Strand! Streicht die Kokosnussverkäufer aus Euren Hirnen und, verdammt noch mal, denkt nicht einmal an einsame Fischerboote in idyllischen Häfen! Denn jetzt kommt Bombay! Mumbai nennen es die Inder. Mumbai ist ihr Paradies und ihre Hölle zugleich. 17 Millionen Einwohner, davon 2/3 ohne fliessendes Wasser oder Toilette, permanent hupende Autos von allen Seiten ohne Existenz einer einzig eingehaltenen Verkehrsregel, ebenso viele Verkäufer mit undefinierbaren Essensangeboten, Früchten, Nüssen, Hühnern, Hunden, Saris, Spielzeug, Blumengirlanden, die obligatorischen Sonnenbrillen, Gewürze, Schuhen und so weiter und so weiter…
Immer wird man angesprochen, immer ist man die Hauptattraktion des Geschehens. Manche wollen einem nur die Haare schneiden, einige wollen einen über einen Markt führen, wieder andere haben eine Schwester, die einen Freund hat, dessen Schwager Busreisen vermittelt, die die billigsten „in town“ sind…da hier leider nicht verhütet wird, existieren recht viele dieser Schwestern und folglich rennt man den ganzen Tag nur kopfschüttelnd durch die Stadt.
Kein Mensch kann sich vorstellen, was hier los ist, wenn man es nicht mit eigenen Augen gesehen hat. Der Begriff „Terror“ erhält in den Strassen Bombays eine völlig neue Bedeutung und wir mittendrin!
Nach ca. 7,5 Std erwache ich über Süd-Pakistan aus meinem Ich-bin-im-Flieger- also schlafe-oder-esse-ich-Koma. Unter mir Sand und Steine, dann ein bisschen Meer und noch ein bisschen Sand, irgendwann eine Stadt – vermutlich Karachi, denke ich. Die Düse bringt ein Frühstück und einen Tee, der mich endlich richtig wach werden lässt. Nach einiger Zeit die ersten Bäume, die eine äußerst beruhigende Wirkung auf mich haben. Langsam setzen wir zur Landung an. Erwartungsvoll blicke ich aus dem Fenster und sehe ein Meer aus Wellblechhütten und Plastikcontainern, dicht an dicht, so weit man gucken kann, wo auch immer noch ein paar Meter Platz waren, haben sich die Menschen ein 2 x 2m-Heim aus Müllresten, alten Autos und vergammelten Holzbrettern gebaut. Darin „wohnen“ und schlafen ganze Familien. Diese Menschen schieben sich Körper an Körper durch schmale ungeteerte Gassen. Sie besitzen das, was sie am Leibe tragen.
Am Flughafen angekommen, teilen wir uns ein Taxi mit einem Paar aus Holland, Anke ist Deutsche und Roy ist een echte Kaaskop. Auch sie sind für ein Jahr unterwegs. Wir haben Glück: unser Taxi gibt nach einigen Kilometern mit einem lauten Knall den Geist auf. Nachdem zuvor ca. fünf Männer damit beschäftigt waren, unser Gepäck auf dem Dach festzubinden, müssen wir nun wieder alle Knoten lösen und „umsatteln“. Keines der anderen Taxis sieht vertrauenserweckend aus und man kommt nur durch die Strassen Bombays, wenn man eine laute Hupe besitzt. Es gibt keine Strassespuren und keine Autoschilder. Nur an den großen Kreuzungen erinnert sich der fleißig hupende und schreiende Fahrer an die Erfindung des Linksverkehrs, ansonsten fährt man eben, wo Platz ist. Nix für schwache Nerven!. Auf dem Weg in die „Innenstadt“ (eigentlich sind wir nach 2 Tagen noch immer nicht in den Kern vorgestoßen) bekommen wir die Slums näher zu sehen, als uns beinahe lieb ist. Ich würde es Euch gerne ersparen, aber nur die reine Wahrheit kann hier zumindest ansatzweise vermitteln, wo ich mich schon wieder rumtreibe… (Mama, Du überspringst am besten die nächsten Zeilen!) Die Strassenränder dienen hier jener Notewendigkeit des Lebens, die ohne Klo leider nur in hockender Position zu verrichten sind. Und da man davon ausgehen kann, dass dies den Menschen auch hier nicht unbedingt angenehm sein muss, schauen sie dabei nicht in unsere Richtung, das heißt, man bekommt tatsächlich eine Menge zu sehen…
Ich wusste, Indien ist sehr arm und chaotisch. Jedoch übertrifft dies hier all meine Vorstellungskraft. Nachts kann man nicht mehr auf den Bürgersteigen gehen, da dann dort die Nachtlager in Form von Mülltüten oder Stofffetzen ausgebreitet werden, auf denen die Ärmsten der Armen schlafen. Es sind die „Unberührbaren“, die unterste Kaste Indiens, die den Boden der Stadt pflastern, sobald es dunkel wird und die die Karen über die Strassen ziehen, wenn es hell ist. Sie arbeiten sehr hart für nur ein paar Rupien am Tag. Ein Lehrer verdient hier umgerechnet 60 Euro im Monat. Ihr könnt Euch vorstellen, mit wie viel Geld die Menschen der untersten Kaste auskommen müssen. Aufgrund ihres Glaubens sind sie der Ansicht, sie würden mit einem solchen Leben für ihre Fehler in einem vorherigen Leben bestraft.
Ich war nicht geschockt, wie man es sich nach diesen Beschreibungen vorstellen mag. Ich war einfach nur erstaunt, dass man so überhaupt leben kann.
Zu dieser Jahreszeit trifft man hier nicht so viele Weiße. Wir sind bisher nur am Bahnhof Victoria (so etwas Großes habe ich noch nie gesehen!!! Aber wunderschöne Kolonialarchitektur mit sehr klassizistischen Zügen und auch indischen und islamischen Zügen) auf ein paar typische Traveller gestoßen. Alle wollten nach Goa. Ein Ty aus Lomdon, einer aus Deutschland, den ich auch schon im Waldfrieden auf einer Goa-Party gesehen habe und ein Typ aus Frankreich. Frauen keine. Wahrscheinlich treffen wir uns bald alle in Goa, essen Pizza, hören Techno und erzählen uns gegenseitig, wie schön es in Europa ist… J
Was mich hier in Bombay noch hält, fragt Ihr Euch jetzt natürlich.
Zum ersten ist es so, dass ich mich schon nach einem einzigen Tag sehr an die neuen Verhaltensweisen und an das Chaos gewöhnt habe. Des weiteren ist es trotz allem sehr interessant, es ist einfach eine ganz andere Welt mit anderen Regeln und anderem Rhythmus und diese Welt möchte ich kennenlernen. Es macht tatsächlich auch Spass, über die bunten Basare zu gehen, die alten Kolonialvillen aus britischen Zeiten (die allerdings zum Teil sehr runtergekommen sind) zu betrachten und in den einheimischen Restaurants Speisen zu testen, die man vorher weder gesehen noch probiert hat. Bald werde ich mir einen bunten Hippierock kaufen, damit ich in meinen Cargohosen nicht mehr so auffalle. Was mir auch gefällt, ist die Art von Gespräch mit Menschen, die einfach keine Vorstellung vom Westen haben. Alle sind neugierig und fragen einen aus. Woher man kommt, wie es dort aussieht, natürlich auch, ob man verheiratet ist und Kinder hat, was man beruflich macht und wie die Eltern aussehen. Sollte einer von Euch bald mal nach Asien reisen, nehmt auf alle Fälle Fotos von zuhause und Euren Lieben mit – das kommt hier gut an.
Das Ungewöhnlichste ist uns ebenfalls am Bahnhof passiert. Ein Mann namens Syresh More, schätzungsweise ca. 40-45 Jahre alt, hat uns am Kaffeestand angesprochen und gefragt, woher wir kämen und wohin wir wollen. Zunächst waren wir eher zurückhaltend, da wir dachten, er wolle wie alle anderen ein Geschäft mit uns machen und hätte eine Schwester, die einen Bruder hat, der… Aber dieser Typ war unheimlich nett zu uns allen und von seinen Verhaltensweisen recht westlich veranlagt. Nachdem er sich ungefähr eine Stunde lang darum gekümmert hat, uns ein Ticket nach Goa zu besorgen (ich habe nie etwas Komplizierteres als ein Bahnticket in Indien zu kaufen erlebt!), wollte er unbedingt mit uns essen gehen. Also waren wir fest der Überzeugung, dass auch er in irgendeinmer Form etwas von uns wollte. Er hatte im Verlauf des Gesprächs immer wieder etwas vom Export von Diamanten erzählt. Daraufhin dachte ich, er wolle mit einem westlichen Kontakt das Problem der Steuer umgehen, indem er uns ein „gift“ mitgebe. Wir konnten uns dennoch locker machen und ließen uns von ihm zu einem Restaurant führen. Er steuerte die obere Etage an, die aufgrund von besserer Ausstattung und Klimaanlage immer deutlich teurer ist. Da wir jedoch auf „low budget“ auch für indische Verhältnisse angewiesen sind, um das Jahr zu überleben, weigerten wir uns, dort Platz zu nehmen. Es wäre immer noch viel viel billiger gewesen als in Deutschland, aber wir wollen unser Geld nicht unnötig verprassen. Außerdem ist es unten sehr viel indischer (mit Finger essen und so…) Also aßen wir unten. Das Essen war göttlich! Und wir der Meinung, nun unseren Führer einladen zu müssen. Der bestellte fleissig immer weiter und nötigte uns, alle möglichen Speisen zu probieren. Keinen Ahnung, was ich da alles gegessen habe, aber es schmeckte immer anders als alles, was ich zuvor kannte. Als wir die Rechnung bestellten, legte Syresh ein paar Scheine auf den Tisch. Er lud uns ein und ließ sich das auch nicht ausreden! Er gab uns auch noch seine Adresse und Telefonnummer, falls wir mal irgendwann Probleme in Indien haben sollten. Wir waren alle völlig erstaunt -. Syresh war einer der wenigen Wohlhabenden und genoß es anscheinend einfach, mit Westlern zu quatschen. Eine wirklich nette Begegnung. Fast alle Inder sind nett und auch hilfsbereit, nur manche kommen nicht klar mit ihrem Testosteron. Nätürlich gaffen sie einen alle an, je dümmer, desto mehr – wie überall auf dieser Welt. Und die Frauen finden meine Kleidung alle so seltsam, dass sie mich regelmäßig auslachen. Aber sie lachen nicht so, dass man sich doof fühlt. Sie sehen halt zum ersten Mal ne Blonde in ner Hose… Außerdem lachen Inder immer. Erinnert man sich an die Wellblechhütten, kann man sich als Westler nicht erklären, warum. Aber sie lachen.
Letztlich, und dies ist vermutlich der am wenigsten idealistische Grund, haben wir keinen Platz in einem der Züge, die uns Richtung Süden bringen, bekommen können. J Der nächste Zug mit freien Plätzen geht erst am Samstag morgen um 7h nach Goa. Bis dahin besichtigen wir noch Elephant-Island mit Tempeln von vor 1000 Jahren, Chowpatty Beach bei Nacht, der Ort, an dem „man“ sich nachts trifft, Malabar, das Villenviertel der Schönen und Reichen auf einem Hügel an der Küste und vielleicht noch ein paar Basare… Ich werde Euch davon berichten. Es kann ja nur besser werden. Bis dahin machen wir uns weiterhin locker und versuchen weiterhin, unseren Blick auf die schönen Seiten dieses Koloss von Stadt zu lenken.
Ich send Euch noch ein paar Fotos und schicke Euch somit einen Teil Indiens, der vermutlich am wenigsten indisch ist.
Auf die schönen Strandfotos müssen wir alle noch ein bißchen warten…
Denkt fleissig an mich! Ich denke hier ganz oft an Euch alle – bei jeder Situation an einen anderen von Euch. Ich kann mir immer ganz genau vorstellen, was jeder Einzelne von Euch in bestimmten Situationen denken oder sagen würde.

Ihr hört bald wieder von mir!

Ich drücke Euch alle!

Hannah

--

(eMail vom 9.2.2006)

Hallo Freunde!

Heute haben wir zum ersten Mal ein Stück Indien gesehen, wie man es sich vorstellt.
Nachdem wir gestern in ein billigeres Guesthouse am Gateway of India in Colaba gezogen sind und tatsächlich mal richtig ausgeschlafen haben, sind wir heute morgen mit einer ziemlich abenteuerlich erscheinenden Fähre zur Elephant Island gefahren, um dem Lärm und Smok der City mal für ein paar Stunden zu entkommen.Während der Fahrt lernten wir eine Familie aus Kashmir kennen, die unglaublich offen und nett zu uns war. Auf der Insel angekommen, konnte ich unseren Aufenthalt zum ersten Mal unter dem Gesichtspunkt „Urlaub“ verzeichnen. Wir saßen ganz allein (!!!) in einem Mini-Restaurant auf einem bewaldeten Hügel, der zu den vier Höhlentempeln aus dem 8. Jh. hinaufführt. Außer uns existierte noch ein Koch, der abwechselnd zwischen Küche und Terrasse hin- und hersprang, um unser Essen (das war soo scharf!) zuzubereiten und mit einer kleinen Steinschleuder die Horde von frechen Affen zu verscheuchen, die auf unser Essen und raschelnde Tüten aus war.
Danach haben wir uns die Höhlen angeschaut und ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, tatsächlich in Indien zu sein. Es gibt natürlich noch weitaus prächtigere Höhlentempel in Indien, aber dennoch empfand ich die riesigen Anlagen gigantisch und sehr schön. Leider waren die Portugiesen im 17. Jh. so schlau, dort ihre Schießübungen abzuhalten, so dass nur noch sehr wenige Teile der Figuren ganz erhalten sind. Habe Euch auch diese Mal wieder ein paar Bilder mit in die Email gepackt, dieses Mal tatsächlich ein wenig spannender…
Außer einer Britin waren wir natürlich mal wieder die einzigen Westler und somit die Hauptattraktion besonders für indische Touristen und Schulklkassen aus dem nördlichen Gujarat, das im Vergleich zu Goa oder Rajastan kaum Ausländer kennt. Auf den Fotos seht Ihr, dass wir ständig von Familien und Schülern angesprochen wurden, um für ein Foto herzuhalten. Es war wirklich witzig und die Inder sind keineswegs kontaktscheu, wie man sieht. Einige mit guten Englischkenntnissen bemühten sich sehr, uns die verschiedenen Darstellungen der Tempel und ihren mythologischen Zusammenhang zu erläutern. Inder fragen nach nur wenigen Sätzen nach der Emailadresse. Das ist hier sehr beliebt und ich bin gespannt, ob das Interesse an einem westlichen Kontakt bis an den heimatlichen Computer währt. J Letztendlich stürzten sich die halbwüchsigen Jungs einer ganzen Schulklasse auf uns, um Autogramme von vermutlich in ihren Augen schräg aussehenden Deutschen zu ergattern. Als ihnen das Papier ausging, mußte ich auf ihren Händen unterschreiben. Die Mädels sind zurückhaltender und starren oder lachen einen permanent an. Wenn man zurücklacht oder sie anspricht (als Frau), schämen sie sich manchmal und sind schüchtern. Nachdem man uns von allen Seiten beäugt und fotorafiert hatte, richtete ich meine Kamera auf sie und erhielt unter lautem Gelache und Gekicher dieses farbenprächtige Foto.
Witzig, aber auch einbißchen gefährlich waren die Affen. Sobald man mit einer Tüte raschelte, mußte man sich tierisch in Acht nehmen. Wollte man sie nicht freiwillig verfüttern, rissen sie ihm alles potenziell Essbare aus den Hände – zur Not auch unter lauter Gewaltandrohung und Zähnefletschen. Gab man ihnen jedoch schnell und freiwillig etwas, verhielten sie sich ganz zahm und frassen aus der hingehaltenen Hand.
In der Abenddämmerung verließen wir die Insel und fuhren zurück Richtung Festland, dessen Horizont bald die unter einere schweren Dunstglocke liegende Skyline Bombays sichtbar werden ließ. Nachts ist diese vom Chowpatty-Beach aus gesehen noch imposanter, wirkt jedoch auch völlig surreal und im Vergleich zum altertümlichen Colaba wie eine andere Welt.
Nun sitze ich wieder in unserem Guesthouse, das doch sehr an die Bangkok-Szenen aus „The Beach“ erinnert. Nein, im Luxus leben wir hier natürlich nicht, aber es geht uns gut und wir freuen uns schon sehr auf den bevorstehenden Abhängurlaub in Goa…Den kann ich nämlich nach DEM Semester echt gebrauchen…
Ich hoffe, es geht Euch allen gut!
Melde mich bald wieder mit Kokosnusscocktail, Sonnenbrand und den aktuellen Neuigkeiten!

Liebe Grüße

Hannah