2006/02/21

Arambol (21.2.2006)


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Originally uploaded by schlagwein.

(eMail vom17.2.2006)

Hallo, Ihr Lieben!

Seit letztem Samstag sind wir im Norden Goas unterwegs.
Nach dem Schock Bombay ist dies hier geradezu das Paradies: alles supergrün, Palmenhaine, lange Strände, lauwarmes Meer, fröhliche Menschen und wir mittendrin…
Arambol ist der vorletzte Ort vor der Grenze Maharashtras und dementsprechend wenig ist hier auch los. –Allerdings macht Ihr Euch nun bestimmt falsche Vorstellungen, denn in einem indischen Ort bedeutet das lediglich, nicht von Abgasen eingehüllt und Betonbunkern zugestellt zu sein. Der Ort war vor ein paar Jahren nur ein kleines, unauffälliges Fischerdorf, das die Travellerszene gerade wohl durch diese Ruhe und Authentizität angelockt hat. Inzwischen ist Arambol DER Ort, wenn es um Öko-Dasein, Esotherik, Yoga, Reiki und Goa-Parties geht. Hier trifft sich im wörtlichen Sinne alle Welt und zelebriert – teilweise mit ernster Miene – das Hippiedasein oder was davon noch übrig ist…
Aufgrund dieses Multikulti und der Tatsache, dass hier in Goa nicht etwa der Hinduismus, sondern das Christentum im Vordergrund steht, hat man teilweise das Gefühl, man befinde sich nicht unweit Europas. Da Goa bis 1961 noch unter der Kolonialherrschaft Portugals stand, sind viele Relikte dieser Zeit wie zum Beispiel fast die gesamte Architektur inklusive vieler Barockkirchen, Straßennamen, Nachnamen, usw. übrig geblieben. Manche alten Omas sprechen angeblich sogar noch portugiesisch, ich selbst habe es aber außer bei einem Pfarrer in der Kathedrale Se in Goa Velha bisher nirgendwo gehört.
Jedenfalls gönnen wir uns hier am mit hohen Palmen gesäumten Strand von Arambol einen Badeurlaub bevor unsere Reise weitergehen soll.
Wir haben uns eine kleine Bambushütte auf Stelzen direkt am Strand gemietet. Darin befindet sich außer einem großen Bett ein Ventilator (tagsüber ist es im Moment bis zu ca. 38°C warm und es wird sehr bald noch viel heisser) und ein kleines Regal für unseren Kram. Das Klo (Westklo!) befindet sich im Garten der Familie, die die Hütte vermietet.
Meistens verbringen wir den Tag damit, im Meer zu baden, spazieren zu gehen, die Märkte zu besichtigen und gut essen zu gehen. Ein Essen für zwei Personen mit Getränken bekommt man hier schon ab ca. 1,50€.
Neben einem großen Hauptstrand, an dem sich alle Kneipen, Restaurants und Geschäfte, alle untergebracht in selbstgebastelten Bambusverschlägen, befinden, gibt es einen weiteren kleineren Strand, an dessen Rückseite sofort ein kleiner Süßwassersee anschließt. Dort waren wir bereits baden. Gestern sind wir um diesen See herumgeklettert und ca. 15 Minuten in den Urwald gelaufen bis wir an einem riesigen Baum ankamen, dessen Wurzeln ca. 1m in die Höhe standen und offensichtlich eine Behausung für einige Personen bildeten. Es gab eine Kochstelle, eine Schlaflager, einen Altar und jede Menge „Eso-Deko“. Die Leute hier sind sehr auf dem Esoterik-Film, so dass ich mir mit bösen Scherzen regelmäßig Luft verschaffen muss, gilt doch die Hälfte dieses ganzen Traras leider nur der Selbstdarstellung. Egal, Freaks gucken macht auch Spaß!
Wir sind dann noch ein bisschen weiter einen Hügel hinaufgeklettert und gelangten dann an einen noch unwirklicheren Ort, an dem anscheinend mehrere Leute in den Bäumen wohnten. Auf mehreren Bambusmatten, die um eine kleine Feuerstelle gruppiert waren (natürlich wurde hier Kräutertee zubereitet), saßen bunt gekleidete Leute aus England, Russland, Norwegen, Schweiz, Holland, Israel, Italien, Ostasien und mit uns dann auch aus Deutschland. Einige schienen nur wie wir „zu Besuch“ dort zu sein, während andere, wie sich im Gespräch herausstellte, tatsächlich für längere Zeit schon dort wohnten. Einem halbnackten Mann mit Bart und ner Menge Ketten um den Hals nahm ich das sofort ohne Fragen ab. Er war ganz und gar Guru, wie er im Buche steht. Auch das Mädel aus Norwegen mit einer pompösen Dreadlockfrisur gab sich alle Mühe, authentisch zu wirken, indem sie andächtig vor einem der geschmückten Altäre auf die Knie fiel und betete. Bei zwei Asiaten, deren Kommunikation im Wesentlichen aus Joint-Bauen, Joint-Rauchen und Trommeln bestand, hatte ich das Gefühl, sie waren schon ein bisschen zu lange auf ihrem Baum. Der Ort war jedoch tatsächlich traumhaft: Mitten im tropischen Wald, Geräusche wie bei Jane und Tarzan, alles geschmückt mit Blumengirlanden und Gebetsfahnen und viele bunte Hängematten…
Ihr kennt mich (fast) alle so gut, zu wissen, dass ich natürlich überlegt habe, ob ich mir das auch geben muss, um ein echter Reisender zu sein. Daniel und ich fanden das beide sehr interessant, sind aber beide anscheinend immer noch eigenständig genug, nicht völlig dem Sog des Dritte-Welt-Looks und dem dazugehörigen Tantra-Kurs im Urwald zu verfallen. Ich wäre bestimmt für ne Nacht oder zwei dort geblieben, aber das Gefühl, gemeinschaftlich einem Epizentrum der Esoterik zu erliegen, gefiel mir dann doch nicht mehr so gut… Letztendlich trägt unser gemeinsamer Horizont und ein gemütliches Essen zu zweit uns dannn vielleicht doch weiter als ein kiffender Guru in einem Baum…
Langsam schreit es wieder nach ein bisschen echter Kultur und wir verbringen viel Zeit mit der Planung unserer Weiterreise.
Wir bleiben jetzt noch ca. zwei Tage hier und züchten noch ein bißchen Bräune und in meinem Fall Sommersprossen. Danach geht es wohl weiter etwa zehn Stunden Bahnfahrt ins Landesinnere in eine alte Tempelstadt namens Hampi. Dieser Ort ist vielleicht mit den Anlagen Angkor Wats in Kambodscha zu vergleichen. Ich bin sehr gespannt!
Dort werden wir vielleicht eine Woche bleiben und am 26.2.2006 die Shiva-Nacht verbringen. Dann wird in Indien das bedeutendste hinduistische Fest gefeiert und alle machen die Nacht durch. Angeblich werden Touristen mit bunten Farbbeuteln beworfen – vielleicht gehen wir besser incognito mit angeklebtem Bart oder so…

Hannah