2006/03/30

Andamanen (30.3.2006)


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Originally uploaded by schlagwein.


Die Andamanen und Nikobaren sind eine ziemlich große Inselgruppe mitten im indischen Ozean. Obwohl sie politisch zu Indien gehören sind die 600 Inseln eigentlich ein Teil Südostasiens und die Spitze eines riesigen Unterwassergebirges, das von Myanmar ausgehend nach Süden hin in Sumatra und Java weiterläuft. Sie laufen auf indischer Einheitszeit, was in diesen Breiten (beziehungsweise Längen) dann Sonnenaufgang um halb fünf bedeutet.

Im Auftrag des Independent hat ein deutscher Forscher Anfang des Jahres eine „Formel für den Traumstrand“ erstellt, die die Andamanen, vor den Malediven und den Seychellen auf Platz 1 rechnet. Fragwürdig, aber nachzuvollziehen. ;) Die Leute hier sind auf jeden Fall mächtig stolz.

Traurigerweise sind die Inseln erst durch den Tsunami 2004 bekannt geworden, als viele der südlichen Inseln (Nikobaren) schwer getroffen wurden. Offiziell starben hier 6000 Menschen, uns wurde aber gesagt, dass diese Zahl ums zehnfache untertrieben ist, da die Regierung Entschädigung sparen will. Wir haben Amateurbilder sehen können, die Welle zeigen: unfassbar. Eine Insel mit (zuvor) 12000 Einwohnern wurde komplett von der Welle leer gefegt. Eine unglaubliche Naturkatastrophe.

Die Inselgruppe ist touristisch praktisch nicht erschlossen und die allermeisten Inseln sind unbewohnt und nicht zugänglich. Tatsächlich gibt es auf den Inseln noch Urvölker, die noch keinen Kontakt zur Außenwelt haben. Speziell die Onge (leben unter anderem auf North Sentinel Island) zeichnen sich dadurch aus, dass sie Versuche, mit Booten auf ihren Inseln zu landen mit einem Hagel aus Pfeilen quittieren. Mir war nicht bewusst, dass es so etwas überhaupt noch gibt. Die Siedlungen der Janwar wurden in den 50er Jahren von der indischen Regierung bombardiert, da sie die zuströmenden indischen Siedler angriffen. Heute haben sie geschützte Reservate auf den Hauptinseln zur Verfügung. Die Andamesen waren von vorneherein sehr aufgeschlossen gegenüber Indern und Briten, was ihre Ausrottung durch Grippe-Viren zur Folge hatte. Die Nikobaresen sind angepasster aber haben sich wohl einen Rest eigener Kunde bewahrt: aufgrund alter Überlieferung oder durch wachsames Beobachten des Verhaltens der Tiere (ist nicht so ganz klar)… flüchteten sie in den Urwald, bevor die Welle anrollte – und überlebten.

Wie alle Anreisenden landeten wir in Port Blair, der einzigen Stadt der Andamanen. Trotz tropischer Lage unterscheidet sie sich nicht sonderlich von jeder anderen indischen 150000-Einwohnerstadt, sprich nicht besonders ansprechend… also nahmen wir mit zwei Deutschen, die wir am Flughafen kennen gelernt hatten, sofort die Fähre auf eine der Inseln. Da nur die „Haupttouristeninsel“ Havelock Island an diesem Tag angefahren wurde, schmissen wir unsere Neil-Island-Pläne kurzfristig über Bord.

Havelock erwies sich als bei weitem weniger entwickelt als erwartet, weswegen ich auch die Anführungszeichen gesetzt habe. Touristisch erschlossen bedeutet hier mehr, dass es überhaupt Übernachtungsmöglichkeiten gibt – wovon Havelock mit 300 Betten (Hängematten mitgerechnet ;)) die meisten hat. Die gute Informationsversorgung der israelischen Traveller auf der Suche nach schönen, unerschlossenen (und damit günstigen) Reisezielen sorgte jedoch für einen erheblichen Zustrom, so dass die Ressorts völlig überfüllt waren. Nachdem wir uns schon mit einem Schlafplatz im Restaurant vom Pristine Ressort abgefunden hatten, hatten wir im Eco Ressort doch noch Erfolg und fanden die letzte freie Hütte.

Zu unserer großen Freunde marschierten Helen (aus Schweden) und Kaala (eigentlich Alessandro, aus Italien), unsere Bekannten aus Goa, just an diesem Abend in das „Restaurant“ (große Bambushütte mit Matten) unseres Ressorts. Auch sie hatten sich erst nach Goa dazu entschieden, auf die Andamanen zu fliegen – und waren genauso perplex, dass wir uns wieder treffen. Sie waren an den Abend nur in unserem Ressort-Restaurant, weil in ihrem Ressort alle Angestellten inklusive Koch in den Wirren des gerade stattfindenden Holi-Festivals, eine Art indischer Karneval mit Farbbeuteln statt Bonbons, verschwunden waren.

Am nächsten Morgen zogen wir zusammen ins Amazon Ressort um. Hier waren noch zwei benachbarte Hütten frei, nicht zuletzt, deswegen, weil es sich der sympatische Betreiber Stanley mit dem Mädel vom Lonely Planet über einen „Discount on Lobster“ verscherzt hatte. Falls ihn jemand nicht kennen sollte: Der Lonely Planet ist DIE Traveller-Bibel überhaupt.
Da Stanley einen „shanti“ (Hindi für „langsam/ruhig“) Ort bevorzugte, blieben wir die nächsten zwei Wochen dort: Zwar haben wir beide nichts gegen einen feinen Elektrobeat einzuwenden – aber Isreal-Psy-Trance a la Infected Mushrooms um 7 Uhr morgens muss ja nun echt nicht sein. Dass die meisten Israelis gerade aus 3 Jahren israelischer Armeen kommen und einen drauf machen wollen, ist zwar zu verstehen, machte sie aber ziemlich unbeliebt bei den Indern und den anderen Travellern. In der Praxis heißt dass, Ressorts mit zu hohem Israeli-Anteil zu meiden, wenn einem Schlafen und Ruhe wichtig sind. Wenigstens ist die Musik (meistens) ganz gut.

In den folgenden zwei Wochen verbrachten wir die meiste Zeit mit Lesen, Schnorcheln und Hängematting. Einige Tage nachdem wir Alessandro und Helen wieder getroffen hatten, begegnete uns auch Janus (aus Dänemark) noch mal, den wir ebenfalls in Goa schon getroffen hatten. Er hat sich inzwischen (oho!) eine deutsche Freundin namens Anna angeschafft hatte. ;)

Unsere Hütte lag direkt am Strand („Beach Number 2“ in der Nähe von „Village Number 3“), weswegen wir nur selten andere Teile der Insel ansahen – wenn, dann meistens um den Tropentraum schlechthin („Beach Number 7“) zu besuchen.

Hannah hatte leider zwischen durch eine arge Gastritis. Nach der zweiten Nacht mit üblen Magenschmerzen besuchten wir das „Hospital“ der Insel: überraschenderweise wirkte der Arzt kompetent – und: da Regierungshospital, waren Behandlung und Medikamente umsonst. Hannahs Gastritis fesselte uns einige Tage ans Ressort und brachte mich dazu meine mit 10 Jahren beendete Schach-Karriere wieder aufleben zu lassen. Schliesslich ging es ihr zum Glück besser.

Sehr schön war unser länger in der „Konzeptphase“ angedachtre Bootsausflug, den wir mit Chirit aus Israel, den beiden Deutschen, dem Ressortbetreiber Stanley und seinem hervorragenden Koch Ramu zum Schnorcheln und Fischen machten. Als endlich einmal alle gleichzeitig anwesend und gesund waren und auch noch die Sonne schien, ging es endlich los. Mit „Motorschaden“ als Erklärung für die eventuell auftauchende Nationalpark-Polizei blieben wir leider an einem Traumstrand auf einer unbewohnten Insel liegen (Fotos) – so ein Pech ;).

„Beach Number 7“ ist sicherlich eines der Highlights bis jetzt: Ein zwei Kilometer langer, kristallweißer Sandstrand in Form eines Halbmondes. Türkises Wasser, perfekte Wellen, Urwald im Hintergrund – viel besser wird es wohl nicht. Zum Glück darf an dem Strand nichts gebaut werden, aufgrund der Regeln im Nationalparks (die auch für die kuriosen Nummern-Namen verantwortlich sind). Die indischen Touristen, falls vorhanden, bewegen sich nicht von aus den 50m Küstenlinie unmittelbar am des Ende des Weges zu Strand 7 weg. Das heißt, die 2 Kilometer Strand sind komplett leer, außer einer kleinen Stelle, wo 100 Leute auf einmal baden. Kurios. Dazu muss man wissen, dass die Inder zum einen meist nur eine Stunde im Rahmen einer organisierten Pauschalreise an den Strand kommen (Individualismus ist generell keine der hervorstechenden Eigenschaften Asiens) – und zum anderen, weil die meisten Inder einfach nicht schwimmen können (böse gefragt: wie auch mit Klamotten an?).

Unsere Lieblingsstelle war „die Lagune“: ein kleiner Strand, der sich relativ abseits an das nördliche Ende von „Beach 7“ anschließt und aus 2 Korallenriffen rechts und links und einem zum Schwimmen geeigneten Sandteil in der Mitte besteht. Das Schnorcheln hier stellte sich als ziemlich unglaublich heraus: wir sahen große, bunte Fischschwärme, Hummer, Seeigel, Barrakudas, Riesenmuscheln und „Nemos“ in ihren Anemonen. Dazu alles an Weich- und Hartkorallen, was die Tropen hergeben. Über- und Unterwasser ein wunderschöner Ort.

Eine andere Stelle, die man auf Havelock ansteuern kann ist „Elefant Beach“ – mangels Namens von den Touristen so getauft, weil im Urwald dahinter Arbeitselefanten, hier noch sehr begehrt, ihren Dienst verrichten. Der Weg ist nicht ausgeschildert und führte ca. 45 Minuten durch tiefen Urwald, der mit einer entsprechenden Klangkulisse aufwartete. Nach Einbruch der Dunkelheit sollte man sich nicht am Rückweg versuchen! Der Strand selber ist von Tsunami komplett zerlegt worden: der Sand ist größtenteils abgetragen, die erste Baumreihe liegt als Leichen quer über dem Strand, was das ganze etwas unwirklich erscheinen lässt. Sollten wir der Meinung sein, vorher beim Schnorcheln schon viel gesehen zu haben: hier steigt man in das absolute Aquarium. Hannah sah einen Fisch wieder, den sie nur aus Kinderbüchern kannte: den hochgiftigen Zebrafisch. Sie war begeistert vom Schnorcheln, und mit der Einschränkung auf die Wasseroberfläche nicht einverstanden: ich glaube, das mit dem Tauchkurs ist keine Frage mehr.

Aber apropos hochgiftig: Eine ca. 3 Meter Schlange, ebenfalls giftig, schreckte die Israelis, die sich gerade am Strand vor unserem Ressort mit eine paar Joints (auf den Andamanen wird das eher liberal gehandhabt) bequem gemacht hatte, auf. Mit gebührendem Abstand folgten ihr alle, was sie dazu veranlasste, sich die erste Deckung zu suchen, die sie finden konnte: die Veranda unserer Hütte! Ein indisches Kind wurde auf der Insel nur einige Woche zuvor von eben dieser Spezies, wie die meisten hier eine endemische Art der Andamanen übrigens, gebissen – und starb. Daher fand sich letztlich eine Mehrheit für die etwas martialische Kopf-Ab-Lösung die mit den Bildern dokumentiert ist (sie sind nicht von unserer Kamera: die war in der Hütte, und ich hatte irgendwie wenig Lust sie zu holen). Stanley lud das schlechte Karma auf sich und erledigte die Schlang mit einem gezielten Macheten-Hieb. Die unromantischeren Seiten der Naturnähe im Nationalpark stellten wir dann am Abend direkt noch einmal fest: ein (ebenfalls giftiger, wenn auch nicht tödlicher) 20x4cm-Hundertfüssler kletterte aus Hannahs Unterwäsche! Sie hatte sie zum Glück nicht an. Tja, die Tropen sind nicht Sylt. Die Schlange, auf die Hannah auf dem Heimweg um ein Haar drauf getreten wäre – war aber ungiftig, wie uns die Inder versicherten. Na ja, wir waren beide froh, dass ich auch im Halbdunkel noch gut sehe, und Hannah im letzten Moment festgehalten habe.

Mein Geburtstag (am 27.) war sehr schön: Wir saßen mit den Leuten unseres Ressorts im Strandhütten-Restaurant. Nachdem wir Ramu extra gefangene Hummer verspeist hatten brachte Hannah mir das Handy des Bruders des Freundes des Nachbarn des Ressortbetreibers (oder so ähnlich)… andere Mobilnetze funktionieren auf den Andamanen nicht. Die Zeitverschiebung mit etwas kruden 4,5 Stunden und der Wechsel von Winter- auf Sommerzeit in dieser Nacht sorgten dafür, dass ich Geburtstagsständchen per Telefon so ziemlich zu jeder vollen halben Stunde von halb elf bis eins erhielt. ;) Meine Oma war aber pünktlich. Um Mitternacht durfte ich die Kerzen an meinen Kitsch-Revanche-Geburtstagskuchen auspusten. Hannah schenkte mir einen liebevoll gebastelten Gutschein über eine Nacht einem luxuriösen Taj-Hotel nach Wahl (etwa das Lake Palace Hotel in Udaipur, das aus Octopussy) – was mich sehr freute. Die Taj Hotels sind die pompösen ehemaligen Maharaja-Sitze in wüstenreiche Rajasthan in Nordindien.

Nach zwei Wochen auf den Andamanen nahmen wir die Fähre zurück nach Port Blair. Hatten ein paar Unterhaltungen mit einigen Indern, die ausnahmsweise mal keine monetäre Transaktion zum Ziel hatten.
Unter anderem schenkte mir ein Sikh namens Singh sein Mittagessen, für das er schlauerweise ein Gutschein erworben hatte. Natürlich nicht auf dem Schiff, sondern von einem Reisebüro, dass sie von dem Fährbüro erworben hat, dass sie wiederum im Auftrag der Fährgesellschaft verkauft… oder so. Kostet dann aber nur 25Rs, also knapp 0,5€. Danke auf jeden Fall für die schmackhafte Rettung vor der Bürokratie. Diese ist in Indien allgegenwärtig: sogar für den Kauf eines Bahntickets zweiter Klasse muss man ein Formular ausfüllen. Formulare enthalten üblicherweise auch Angaben wie „Name of husband or father“ als Pflichtfelder. Auch das Fotografieren von Lokomotiven erfordert in diesem Land eine schriftliche (aber kostenlos auf schriftlichen Antrag hin zu erhaltende) Genehmigung. Eventuell sollte man im Zeitalter von Google Earth solche Regelungen noch einmal „für 5 Cent überdenken“ (O-Ton Hannah).
Fast alle Sikh heißen Singh („Löwe“), was der Effizienz des Telefonbuchs von Amritsar schaden dürfte, mutmaße ich jetzt mal. Die Sikh scheinen ganz nett zu sein, vor allem gelten sie als zuverlässig. Warum gerade die Sikh mit ihren Turbanen zum Klischee-Inder-Bild im Westen wurden, ist mir allerdings schleierhaft: zum einen sehen sich die aus Punjab stammenden Sikh nicht wirklich als Inder (siehe Indira-Ghandi-Mord), zum anderen gibt es nur 20 Millionen von ihnen in ganz Indien. In einem Land mit einer Gesamtbevölkerung von bald 1,3 Milliarden ein Klacks.

Hannah bekam dagegen einen Tee von einem Ingenieur aus der Nähe von Bopal (leider nur bekannt wegen eines üblen Chemieunfalls) geschenkt und musste als Fotomodell für Heerscharen junger Studenten herhalten. Wir griffen unseren Bombay-Witz („photo 10 rupees, girl alone 50 rupees“) wieder auf. Die Stimmung auf der Fähre war gut – ein älterer Israeli, der mit seinem Sohn durch Indien reiste, überredete mich schließlich dazu, mit ihm in die bengalischen Tänze auf dem Oberdeck einzusteigen (Fotos).

Wir hatten unsere Flüge umgebucht, um von unserem Treffen mit Wagma in Pakistan noch genügend Zeit für Nordindien zu haben. So verließen wir Port Blair am 30. März mit Air Deccan, dem indischen Billigflieger, in Richtung Kalkutta…

Daniel