2006/04/05

Varanasi (5.4.2006)


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Originally uploaded by schlagwein.

Varanasi, 31.3.- 5.4.2006

Nach ca. 10 Stunden Bahnfahrt erreichten wir den Bahnhof Kashis, einem Vorort Varanasis. Wir vermieden den Hauptbahnhof der Stadt in der Hoffnung, so den Massen geldhungriger Rikschafahrer und Comission-Guys zu entgehen, was auch fast funktionierte. Nach langem Hin und Her (die Inder sind nie zu müde, mindestens zehn Minuten den Preis zu verhandeln!), waren wir, verteilt auf zwei Rikschas, auf dem Weg in die Innenstadt. Es ist anzunehmen, dass die Rikschafahrer auch von dem Besitzer des Cafes, an dem sie uns mit der Bemerkung „von hier nicht mehr weit – only by foot“ absetzten, ebenfalls Komission erhielten. Denn im Nachhinein bemerkten wir, dass es keineswegs ein Problem gewesen wäre, uns bis zum angestrebten Hotel zu fahren. Nun, der Ort war nicht der schlechteste und somit nahmen wir im Innenhof des Cafes erst einmal ein Frühstück zu uns.
Danach machten Daniel und ich uns erst einmal auf die Suche nach zwei Doppelzimmern, während Norwegen auf unser Gepäck aufpasste.
Schon auf unserer ersten Fahrt in die Stadt war kaum zu übersehen, dass die Stadt aus allen Nähten platzte! Enge Straßen und Gassen, überfüllt von Menschen, Kühen und in erster Linie Mist – im wörtlichen Sinne. Varanasi ist ein großes Dorf und die Gassen bieten nun einmal keinen Platz für so etwas wie einen Misthaufen. Also hieß es, Hosen hochkrempeln und schauen, wo man hintritt… Trotz eines unglaublichen Lärmpegels und einer der schrillsten Kulissen, die Indien zu bieten hat, habe ich diesen Ort sofort in mein Herz geschlossen. Kein anderer Ort in Indien, den ich bisher gesehen hatte, erschien mir authentischer als dieser. Schönere Orte gab es definitiv, aber spätestens in Varanasi weiß jeder, dass er in Indien ist. Und auf dem Festland fühlte ich mich nur in Hampi gleichermaßen wohl. Es ist also doch nicht nur der Dreck und der Lärm, der mich in diesem Land manchmal um den Verstand zu bringen scheint! Ich war so zufrieden, endlich einen Ort vorzufinden, an dem man nicht krampfhaft versuchte, westlich zu sein! Und das Resultat konnte sich sehen lassen: überall begegnete man den heiligen Männern, Saddhus genannt, die in grell gläubiges Orange gekleidet und mit einem Turm verfilzter Haare auf dem Kopf, auf die Almosen der Gläubigen angewiesen durch die Stadt wandelten. An jeder Ecke konnte man Heiligenbildchen, Betketten, Opfergefäße, Räucherstäbchen und Götterfiguren erwerben. Natürlich hatte man sich auch auf die westlichen Besucher eingestellt und so ist Varanasi ein Einkaufspradies für alle, die eine Vorliebe für bunte Batik- und Seidenklamotten, Hippiehemdchen, Glasperlenketten, Patchworkdecken und schrille Handtaschen haben.
Wir verbrachten eine Nacht in einem sehr preiswerten und gepflegten Hotel, das wir danach jedoch für ein ebenfalls billiges Zimmer mit Gangesblick von einem kleinen Balkon in einem anderen Guesthouse aufgaben. Die Besatzung des Ganpati Guesthouses ist zwar nicht die zuvorkommenste, allerdings kann sich die Anlage mit ihrem schönen Innenhof, in dem zwei kleine Baby-Kaninchen herumhopsten (Fotos!), echt sehen lassen. Leider hatten wir jeden Morgen ab ca. 7 Uhr unter einem Powercut zu leiden, da die Stadt wie viele indische Städte auf diese Art und Weise Strom einsparen wollte. Uns betraf das in sofern, dass der Ventilator in unserem Zimmer den Geist aufgab und wir ein paar Minuten später anfingen zu kochen. Des Weiteren befand sich offenbar neben unserem Raum die Küche, die aufgrund der generell unzureichenden Stromversorgung auf einen sehr lauten Generator angewiesen war. Somit war ein Verschlafen schier unmöglich und unser Tag begann im Allgemeinen und zu meiner „großen Begeisterung“ zu früh. Für die Inder ist es nichts Ungewöhnliches, den Tg morgens um fünf oder sechs mit der aufgehenden Sonne zu beginnen und ihn pünktlich mit der Dämmerung auch zu beenden, da sowieso nicht alle über elektrische Versorgung verfügen. Dieser Rhythmus obliegt der Ganzen Stadt und somit wurden nach den letzten Gebeten am Ganges überall die Bürgersteige hochgeklappt. Ein Schild in unserem Guesthouse bat den aufmerksamen Leser, spätestens um 22.30 Uhr sein Zimmer aufzusuchen. Als wir eines Abends nicht auf die Zeit achteten und gegen 00.00 Uhr erst den Heimweg antraten, da wir in einem der Touri-Läden mal wieder viel zu lange auf unser Essen warten mussten, standen wir tatsächlich vor verschlossenen Türen und konnten uns nur durch lautes Klopfen bemerkbar machen. Mit vorwurfsvollem Blick ließ man uns dann doch noch ein. Am nächsten Abend waren wir wieder pünktlich, gab es doch eh nicht soviel zu tun im Dunkeln der Nacht…
In fünf Tagen in dieser chaotischen, aber sehr atmosphärischen Stadt besuchten wir natürlich auch die Verbrennungsanlagen am Ganges, in dem sich die Hindus nach ihrem Tod verbrennen und ihre Asche über den Fluss in den Kreislauf des ewigen Lebens zurück gelangen lassen. Für die Hindus ist der Ganges heilig und es bedeutet ihnen die größte Ehre, in Varanasi sterben zu dürfen. Alle Hindus, die es sich leisten können, reisen wenigstens einmal in ihrem Leben an des Fluss, um sich darin zu waschen – ein heiliges Ritual, das sich für einen Nicht-Gläubigen nicht nachzuahmen empfiehlt, kann es doch schon mal zu Kollisionen der dritten Art im Wasser kommen: die Leichenreste werden einfach in den Fluss geschickt…
An den Verbrennungsstätten kann man sich aussuchen – je nach Reichtum und Status – mit welchem Holz man verbrannt werden möchte. Am teuersten ist natürlich Sandelholz, aber im Umkreis von Kilometern wird es einem vermutlich jeder danken, sich für diesen kleinen Luxus entschieden zu haben. Meine Nase ist ja nicht nur groß, sondern auch extrem empfindlich und so bin ich natürlich in den doppelten Genuss gekommen. Am Ufer des Ganges gibt es drei offizielle Verbrennungsanlagen, die Tag und Nacht im Gange sind. Dabei werden an jeder dieser Stellen zeitgleich bis zwischen fünf bis zehn Körper verbrannt.
Eine dieser drei „Krematorien“ funktioniert neuerdings hochmodern und elektrisch – wir sind zum Glück nur in den natürlichen Genuss gekommen. So weit so gut! Letztendlich hat mich aber dann dennoch gewundert, was die ganzen Männer in den Fluten neben den halb verbrannten Leichen suchten… Ein Mann neben uns erklärte, dies seien Arme, die darauf spekulierten, an Resten der Verbrannten noch Fingerringe oder Zahngold zu finden. Jetzt sah ich es auch: die Männer tauchten hin und wieder am Flussufer ab, manche hatten sogar Werkzeuge in der Hand, die sie einsetzten. Den Rest erspare ich Euch jetzt hier. Tja, wir waren in Indien und demzufolge konnte mich noch nicht einmal diese Spektakel schocken!
Abends haben wir uns am Ufer in der Innenstadt die religiösen Zeremonien der Brahmanensöhne angeschaut. Jeden Abend zwischen 18h und 21h konnte man das bunte und sehr einnehmende Spektakel bestaunen. Die Atmosphäre zog uns total in ihren Bann. Alle Leute der Stadt schienen hier versammelt, um der Gottheit des Flusses, Ganga, ihre Opfergaben darzubringen. Das war Varanasi pur!
Die nächsten Tage verbrachten wir hauptsächlich mit Shoppen und Bummeln. In einem tollen Seidenlager erhielten wir wunderbare Rohseide nach langem und sturem Verhandeln zu einem Spott-Preis! Die Leute, denen wir unsere Beute zeigten und den gezahlten Preis sagten, starrten uns mit ungläubigen Augen an, nahmen ein Streichholz, um die Reinheit der Seide zu prüfen, guckten verwirrt, fragten wieder nach dem Preis und fragten uns, wo wir die Ware her hätten. Da wir das Gefühl hatten, mit der Seide könnte irgendetwas nicht ganz rein gelaufen sein, da sie offensichtlich 100% rein war, gaben wir die Adresse nicht raus, gingen aber am nächsten Tag noch mal hin und kauften für den gleichen Preis noch einmal ein. Andere Händler boten uns Geld an, damit wir für sie dort auch Seide kaufen mögen. Sie gingen alle davon aus, dass der Händler sehr wahrscheinlich dringend Geld bräuchte, da unser Preis, den wir gezahlt hatten, sogar unter den Herstellungskosten lag. Wir konnten uns das alles nicht richtig erklären, waren aber sehr zufrieden mit unserem Kauf. Aus schwarzer Seide ließen wir Daniel direkt vor Ort eine schöne Tunnelzughose schneidern, die super aussieht! Dann suchten wir für unsere Mütter auch noch jeweils ein Stück dunkelrote bzw. rost-oliv-farbene Rohseide aus, damit sie sich etwas daraus nähen lassen können. Ich habe mir ein großes Stück schwarze Seide einpacken lassen – was sonst!
Ansonsten machte es auch sehr viel Spaß, einfach durch die engen, bunten Gassen der Stadt zu bummeln und die alten Gebäude, die Tiere, die Handwerker, die heiligen Männer, Bettler, und so weiter und so fort zu bestaunen. Varanasi ist wohl das indischste, das wir in Indien gesehen haben!
Während unseres Varanasi-Aufenthalts erhielt Daniel auch die Note für seine Diplomarbeit – eine glatte und unglaubliche 1,0!!! Wir sind alle sehr stolz. Seine endgültige Diplomnote ist somit eine 1,4 um die ich ihn fast ein bisschen beneide… Auch seine Family – zu beiden Seiten – war unglaublich aufgeregt und sehr stolz, als wir mit ihnen am Telefon gesprochen haben – kein Wunder!
Am Abend dieses Tages stießen wir im hochheiligen und abstinenten Varanasi dann dennoch mit einem Bier auf diese tolle Ergebnis an, zusammen mit unserer Bekannten Simone aus San Franzisco, die wir in der Stadt kennenlernten – liebe Grüße!

Hannah