2006/04/14

Kathmandu (14.4.2006)


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Originally uploaded by schlagwein.

Nachdem wir in Varanasi weder aus indischen (Reisebüro, Traveller, Zeitung…) noch unseren deutschen Quellen (Freunde, spiegel.de, auswaertigesamt.de…) irgendetwas von einem bevorstehenden Generalstreik in Nepal gehört hatten, kamen wir nach einer Nachtfahrt mit der überfüllten Bahn und weiteren 3 Stunden mit dem Minibus wild entschlossen an der nepalesischen Grenze bei Sunauli an – um dann festzustellen, dass keine Busse ins Landesinnere fuhren. Da der 4-Tage-Generalstreik am nächsten Tag beginnen und den Busfahrern die Rückfahrt aus Kathmandu unmöglich machen würde, hatten sie bereits am Morgen den Betrieb von der Grenze eingestellt. Die Grenzbeamten konnten uns nicht sagen, ob wir eine Möglichkeit finden würden, nach Kathmandu zu kommen und boten uns an, die Lage erstmal ohne Visum (immerhin 30$ pro Nase) zu sondieren, und uns die Rückkehr nach Indien offen zu halten. Sehr nett von ihnen, aber auch nicht gerade viel versprechend.

Wir gingen unsere Optionen durch, soweit uns die auch hier anzutreffenden „Comission Guys“, die uns Jeeps vermitteln wollten, Ruhe dazu ließen (gestrandete Touristen mit Kreditkarte sind aber auch zu verlockend!). Es fuhr noch ein Bus nach Pokhara, dem zweiten Touristenziel in Nepal, den unsere zwei im Bus kennen gelernten Japaner nahmen. Da wollten wir aber nicht hin und hätten dann wohl nicht die Möglichkeit, in den nächsten 4 Tagen nach Kathmandu zu kommen. Gerüchteweise sollten noch im nächst größeren Ort Busse fahren – Hannah legte aber Veto dagegen ein: sollte der Bus langsam vorankommen würde er Kathmandu vielleicht nicht vor der nächtlichen Ausgangssperre (23-4h) erreichen – was dann fünf Stunden zusätzlich am Straßenrand bedeutet hätte. Hannah schlug vor, stattdessen tatsächlich einen Jeep zu nehmen – schneller als der Bus. Das war mir wiederum nicht so recht: der Jeep war zwar schneller, aber dennoch vor Straßensperren und Maoisten-Gefechten nicht sicher – und das zum 2/3-Preis des Fluges. Ich liebäugelte daher sowieso schon mit der Propellermaschine, als wir nach etlichen Telefonaten schließlich eine Absage vom potentiellen Fahrer bekamen: er wollte ebenfalls nicht in Kathmandu stranden. Da wir beide aber auch nicht nach Indien zurück wollten, fanden wir uns letzten Endes und zu unserer eigenen Überraschung am 10 km entfernten, winzigen „Buddha Airport“ von Lumbini (Geburtsort von Buddha) in einer Propellermaschine von „Cosmic Airways“ wieder. Der Flug war ziemlich wackelig und ging durch spektakuläre (Wolken-)Berge. So etwas wie ein Phantasialand-Ride – nur „in echt“.

In Kathmandu angekommen empfing uns unser Hotelmanager mit hochgehaltenem Namensschild… na, für 4 Euro die Nacht ist ja ein persönliches Abholen der Gäste am Flughafen wohl auch das Mindeste. Im Reiseführer als „durch Verkehrschaos, Lärm und Dreck schockierend“ beschriebene Kathmandu erwies sich für uns als relativ geordnet und tranquil. Der Autor kam wohl nicht aus Indien. Das etwas cheesige, aber gut ausgestattete „Blue Horizon Hotel“ (Hot!! Shower, TV, Telefon) erwartete uns für die erste Nacht – und wurde dann unabsichtlich zu unserer Heimstätte für die nächsten acht Nächte. Wir waren froh über Fernsehen (wer uns kennt, weiß wie ungewöhnlich das ist!): CNN, BBC, Deutsche Welle TV, Discovery Channel, HBO, Star Movies… Wie schön kann doch Kulturimperialismus sein – wir entschieden uns für die James-Bond-Night auf Star Movies und gingen nicht mehr vor die Tür.

Im Lauf der Tage erfuhren wir dann letztlich doch ziemlich genau, was in Nepal politisch so los ist – und ich gebe hier mal einen Abriss über die Situation:
Der König scheint ein ziemliches ignorantes und machtgieriges, Royalisten mögen mir verzeihen, Arsch zu sein. Er hat die 1992 gewährte und in der Verfassung verankerte konstitutionelle Monarchie im Februar 2005 wieder in eine absolute Monarchie umgewandelt und sich selbst zum Premierminister ernannt und regiert das Land durch seinen Oberbefehl über die Armee als De-facto-Militärdiktator. „Königreich“ klingt romantischer, als es ist. Niemand in Nepal, den wir getroffen haben, konnte den König leiden oder hatte auch nur eine neutrale Einstellung. Seit einem Jahr bemühten sich die demokratischen Kräfte also schon um die Wiederherstellung der Demokratie.
Abgesehen von diesem Konflikt liefert sich die Armee seit 2001 immer wieder Gefechte mit den Maoisten, die aus der drückenden Armut heraus einen Rebellenaufstand begonnen haben. Sie haben etwa die halbe Landesfläche unter Kontrolle. Sie fordern einen Ein-Parteien-Staat, Landreform und orientieren sich chinesischen Kommunismus. Wie man immer noch im vollen Idealismus für die Einführung des Kommunismus kämpfen kann, entzieht sich meinem Fassungsvermögen. Wenigstens kann man hier Ungebildetheit und verzweifelte Lage attestieren. Na ja, die gut-gemeinte bis gefährliche Utopie des Kommunismus ist eine andere Geschichte und ich will jetzt meine Meinung darüber nicht diskutieren: Vielleicht ist es ja in Nordkorea & Co. doch super… Was weiß ich schon. Jedenfalls gibt es regelmäßig Gefechte zwischen den beiden Parteien, so dass man durchaus von einem, wenn auch latenten, Bürgerkrieg sprechen kann.
Damit es noch besser wird: Nepal ist nicht nur arm wie Indien, sondern wirklich ganz am Ende des Skala. Da keine Überbevölkerung herrscht, macht sich das zwar nicht in Hungersnöten bemerkbar – aber das reale Pro-Kopf-Einkommen ist eines der niedrigsten der Welt (man wechselt sich mit Katastrophen-Ländern wie Bukina Faso auf dem letzten Plätzen ab). Die pseudo-demokratische Regierung konnte daran bisher nichts ändern. Ganz tolle Aussichten also für das überaus freundliche Himalaya-Volk (eigentlich mehrer Völker: Newari, Sherpas…). Der Tourismus ist gegenüber 2000 auf nur noch 20 Prozent des Maximums zurückgegangen, was die letzte Einnahmequelle Nepals zerstört. Alle Konfliktparteien versuchen, den Touristen ein gutes Gefühl („you`re welcome in Nepal!“) zu geben und sie dazu zu bewegen, dennoch zu kommen: Jeder Partei ist klar, dass Nepal seine einzige vernünftige Einnahmequelle nicht verlieren darf. So ist man als Tourist auch im Maoisten-Gebiet sicher: Man muss nur ein festgesetztes Schutzgeld an die Rebellen zahlen, wenn man einem ihrer Trupps begegnet. Die Höhe entspricht dabei in etwa der Visumsgebühr und soll verhindern, dies wird als Grund genannt, dass der König einseitig vom Tourismus profitiert. Dennoch ist es natürlich Erpressung, egal wie nett die Knirpse mit der M16 auch sein mögen. Immerhin erhält man eine Quittung (es soll ja mal eine ordentliche sozialistische Bürokratie werden) und muss beim nächsten Trupp nicht noch einmal zahlen. Oft versuchen sich Armee- oder Rebellentrupps mit Trekkern anzufreunden und wandern ein Stück mit ihnen. Sinn der Aktion ist es, so riskante Gebiete zu überbrücken – denn wenn Touristen in der Nähe sind, wird die Gegenpartei kein Feuer eröffnen. Es wurde in den Jahren zuvor nie Tourist entführt oder verletzt. So läuft dieser Konflikt also seit Jahren ab, ohne dass amerikanische Otto-Normal-Everest-Base-Camp-Wanderer etwas davon merkt, dass er gerade mitten durch einen Bürgerkrieg trekkt. Skurril.

Soweit die Ausgangslage. Nun haben aber hatten die Nepalis endgültig die Schnauze voll. Nach etlichen Warnstreiks in diesem Jahr wollte die Bevölkerung, angeführt von der „Seven-Party-Alliance“ aller demokratischen Parteien, den Studentenvereinigungen, den unabhängigen Medien, den Gewerkschaften, Berufsverbände wie Professoren, Ärzten, Anwälten… einen kompletten 4-Tage-Generalstreik über das ganze Land durchziehen. Nichts ging, wirklich gar nichts: Keine Geschäft war geöffnet, kein Beamter verrichtete Dienst, kein einziges Auto fuhr, die Krankenhäuser wurden geschlossen. Die Nachricht war für das freundlichen Nepal so unmissverständlich wie sie nur sein konnte möglich: König weg, Demokratie her.

Dieser reagiert, wie er schon zuvor reagiert hat: es wird keinen Millimeter nachgegeben. Am dritten Tag des Generalstreiks und der Protestkundgebungen verhängt er als Gegenmaßnahme eine komplette Ausgangssperre (üblicherweise 10-17h und 22-5h, aber jeden Tag anders). Zudem verordnet er das Abschalten aller Mobiltelefonnetze (jepp, auch Telekom), um Demonstrationen zu verhindern. Bei Zuwiderhandlung gegen die Ausgangssperre wurde mit Schusswaffengebrauch gedroht.

Die SPA wiederum entschied, der Repression nicht nachzugeben und verlängerte daraufhin den Streik ins Unendliche. Die Lage spitzte sich zu: Straßensperren wurden aufgebaut und Reife angezündet, auf den internationalen Kanälen wird Nepal zum Thema, es jeden Tag gibt es etliche Verletzte und einige Tote bei den dennoch stattfindenden Protestveranstaltungen. Bitter dabei war: Nepal hat eine Pflichtarmee. Das heißt, den protestierenden Studenten stehen 19-Jährige mit Schiessbefehl gegenüber, die vermutlich lieber auf der anderen Seite stehen würden.

Natürlich galt die Ausgangssperre nicht für uns. Die Touristen konnten sich frei bewegen, wir wurden nur in Unruhegebieten gebeten, umzudrehen. Im Touristenviertel Thamel waren auch einzelne Restaurants, Shops und natürlich die Hotels geöffnet. Lediglich am Sonntag konnten wir nicht wirklich vor die Tür: wir liehen uns einen DVD-Player. Gingen wir ansonsten auf die Strasse, so bestimmte ein seltsames Bild diese Tage in Kathmandu: einzelne Touristen (fast alle wollten in Nepal bleiben) zogen durch eine verbarrikadierte Geisterstadt, während die Nepalis in ihren Hauseingängen und hinter ihren Fenstern saßen – eingesperrt von ihrem König.
Die Lage wirkte für uns angespannt, aber nicht bedrohlich: es waren keine Schüsse zu hören, bis auf ein paar Rauchfahnen in der Ferne und die allgegenwärtigen Armeefahrzeuge war nichts zu sehen. Trotz der Situation war Nepal immer noch sehr entspannt, weit weniger anstrengend als ein Tag in einer indischen Großstadt etwa. Zudem war die touristische Infrastruktur zwar teilweise außer Betrieb – selbst der verbleibende Rest war aber mehr, als in den meisten indischen Städten. So konnte man etwa auch italienisch (richtiger Weißwein, Hannah glücklich), deutsch (haben wir aber nicht ausprobiert), thailändisch und japanisch essen gehen, es gab Shops mit kopierten westlichen DVDs und CDs und kleine Supermärkte in denen man sogar HARIBO (Hurra!) kaufen konnte.

Viel zu berichten gibt es über die Tage nicht: Hannah las ihr „Shantaram“, ich mein „Elementarteilchen“ (ganz interessant, aber etwas plakativ wie Houllebeq halt schreibt). Mit „Memories of a Geisha“ (schön ausgestattet), „Master & Commander“ und „Brokeback Mountain“ (etwas zu lang, aber sehenswert) sahen wir auch zum ersten Mal seit langem wieder ein paar gute Filme. Leider war ich zwischen durch zwei Tage ziemlich krank: Travellers Diarrhoe, nicht schön, kein weiterer Kommentar. Mit selbst ausgesuchten Antibiotika (in Asien ist das nicht so mit „ich kann ihnen das Medikament nur mit Verschreibung verkaufen!“ ;)) hatte ich den Aufstand in meinem Magen-Darm aber dann wieder unter Kontrolle.

Wir konnten uns aufgrund der mangelnden Rikschas nur die Sehenswürdigkeiten in unmittelbarer Nähe der Innenstadt ansehen. Zum Glück gibt es davon viele: alleine am Durbar Square erdrücken sie einen geradezu. Hier fühlt man sich sofort und glaubwürdig um Jahrhunderte zurückversetzt. Hier hatten wir ausnahmsweise mal Glück in Nepal: die Kumari, die lebende Göttin kam aus ihrem Haus und wir konnten sie aus nächster Nähe sehen. Das passiert nur 3- bis 4-mal im Jahr für ein paar Minuten – und wir standen nur zufällig davor. Die Kumari wird aus der Riege der Gold- und Silberschmiede erwählt: es handelt sich um ein kleines Mädchen, dass eine Gottheit sein soll. Welche der in Frage kommenden Mädchen es ist, wird durch eine Reihe von Prüfungen (unter anderem Erschrecken durch ein Geisterschauspiel der Mönche, Aussuchen der Kleidung der alten Kumari unter einer Auswahl verschiedener Möglichkeiten) herausgefunden. Sobald die Kumari ihre Periode bekommt, muss sie als Göttin abtreten und wird selbst wieder ersetzt. Solange residiert sie als lebende Gottheit im Haus der Kumari (Fotos!).
Einen ansehnlichen Durbar Square (Palastplatz) hat auch Patan, einstiger Gegenspieler, jetzt Vorort von Kathmandu (leider keine Fotos, Kamera kaputt).

Die berühmteste Stupa der Welt, und neben dem Mount Everest, das Wahrzeichen Nepals ist die Swayambhunath Stupa, die wir uns unter Einsatz unserer Schenkel dann doch nicht entgehen lassen wollten (sie liegt nur ein paar Kilometer von der Innenstadt entfernt auf einem Berg im Kathmandu Valley). Wir wählten den steilen, aber eindrucksvolleren Aufstieg von der Ostseite – und wurden mit einem magischen Ort belohnt, der aufgrund der Rahmenbedingungen auch ziemlich wenig besucht war - die Affen waren DEUTLICH in der Mehrheit gegenüber ihren evolutionären Nachfolgern. Sogar die Affen waren weniger aufs Betteln und Stehlen aus als ihre indischen Artgenossen – verwunderlich, dass der buddhistische Einfluss so weit reicht. Bei der Gelegenheit lernten wir auch zwei Jungs von der Armee (der königlichen) kennen, die gerade frei hatten. Wir viele ihrer Altergenossen haben sie das Ziel, wenigsten ein paar Jahre aus Nepal herauszukommen und etwas Geld zu verdienen: als UN-Blauhelme im Sudan oder auf Haiti – viel mehr Karrierechancen hat man als Nepali nicht. Langsam wurde mir klar, warum die ganzen UN-Blauhelme immer aus Pakistan, Bangladesh, Indien oder eben Nepal kommen.

Wir hatten keine schlechte Zeit in Kathmandu und waren sehr angetan von den Nepalis. Leider hatten wir einfach Pech mit dem Zeitpunkt, so dass wir schließlich vom De-Facto-Eingesperrt-Sein so genervt waren, dass wir uns für einen zweiten Flug entschieden – und nicht mehr auf die Wiederaufnahme der Busverbindungen warten wollten. Da Wagma ihre Pläne geändert hatte und wir uns nun doch nicht mehr wie ursprünglich geplant in Islamabad treffen würden, überlegten wir zwischenzeitlich, Indien Indien sein zu lassen und von Kathmandu direkt nach Thailand zu fliegen, wenn wir nun doch einen weiteren Flug zahlen mussten (uns wurden übrigens dann auch noch die 30$ Visum abgeknöpft). Einerseits wollte ich aber erst nach anderen Möglichkeiten schauen, wie wir uns doch mit Wagma, Masood und Saladin(!!) in Kabul treffen könnten und zum anderen waren wir ja noch nicht in Rajasthan gewesen, dem Orient-Reiseziel in Indien überhaupt. Daher buchten wir kurz entschlossen und genervt von König zweimal Sahara Airlines nach Delhi International. Falls ihr mal in die Situation kommen solltet: Sahara Airlines ist äußerst empfehlenswert! Moderate Preise, Megabeinfreiheit, nette Besatzung… und Bier (?!) gratis. Machte auf jeden Fall den Widereinstieg nach Indien leichter. Der Panorama-Blick auf das Himalaya war natürlich auch nicht schlecht.

Und was passierte mit Nepal?
Neben den ganzen innenpolitischen Gruppen versuchten auch die UN, die EU, die USA, Japan und Indien den Druck auf den König zu erhöhen.
Dennoch sollten noch 10 Tage mit Streik und Ausgangssperren und zunehmender Gewalt folgen (es war also die richtige Entscheidung raus zu fliegen). Soweit ich das hier in Indien in Erfahrung bringen konnte eröffnete die Armee bei einer großen Veranstaltung tatsächlich das offene Feuer auf die Menge (soweit ich weiß 10 Tote) – worauf hin die Empörung in Nepal so groß wurde, dass endlich, wie von Hannah vorausgesagt, auch die weniger politisch engagierten Nepalis zu Hunderttausenden (also praktisch alle) auf die Strassen Kathmandus gingen und, ganz im Stile Leipzig und Ost-Berlins, dem König ein wütendes „Wir sind das Volk!“ entgegen schrieen…auf Nepali natürlich. Der König hat daraufhin endlich nachgegeben. Was auch immer jetzt passieren mag: Alles Gute, Nepal!

Daniel