2006/02/28

Hampi (28.2.2006)


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Originally uploaded by schlagwein.

So, nach längerer Zeit mal wieder ein paar Zeilen aus dem Süden Indiens. Inzwischen befinden wir uns in Kochi, einer Millionenstadt an der südlichen Küste Keralas. Aber ich fange mal von vorne an: nachdem wir Goa verlassen haben, sind wir erst einmal ins Landesinnere aufgebrochen, um eine alte Tempelstadt namens Hampi zu erkunden. Mehrere unserer Bekannten haben bereits davon geschwärmt und somit wollten wir uns dies natürlich nicht entgehen lassen. Außerdem hatte ich das Eso-Getue in Goa ziemlich satt und war sehr gespannt auf ein Stück „echtes Indien“…
Von Arambol sind wir ca. 3 Stunden mit dem staatlichen Bus nach Margao gefahren. Dies ist so ziemlich der unspektakulärste Ort überhaupt, jedoch verkehrsmäßig Dreh- und Angelpunkt aller Reisenden und deshalb zumindest in dieser Hinsicht erwähnenswert. Dort haben wir die Nacht verbracht – Daniel am Rechner des Hoteliers (erster DSL-Anschluss überhaupt in Indien) und ich leider krank im Bett. Wir hatten schon Angst, unsere Zugtickets nach Hampi verfallen lassen zu müssen, aber dank der guten medizinischen Versorgung aus dem Hause Gilcher-Schlagwein war ich dann am nächsten Morgen doch wieder halbwegs fit und es konnte los gehen: nur 10 Std. Zugfahrt dieses Mal und wir waren in einem Ort namens Hospet, den ich im Verlauf der nächsten Tage noch einmal unfreiwillig aufsuchen sollte, aber dazu später.
Von dort ging es mit der Rikscha dann noch ca. 25 Minuten weiter in den historischen Ort Hampi Bazaar, wo wir nach einigem Hin und Her und starkem Verhandeln ein schönes und einigermaßen preiswertes Zimmer fanden.
Noch am ersten Abend haben wir uns den großen Tempel im Zentrum des Orts angeguckt. Schon der erste Eindruck war toll, wie Ihr auf den Fotos sehen könnt.
Am nächsten Tag hatten wir nach längerer Zeit mal wieder ein annehmbares kontinentales Frühstück in der „German Bakery“. Leider fiel mir auch in diesem Zusammenhang auf, dass mir ein ziemlich großes Stück meines Backenzahns fehlte. Ich entschloss mich eher schweren Herzens, einen indischen Dorf-Zahnarzt mitten in der Pampa aufzusuchen, allerdings blieb mir in diesem Moment wohl keine Wahl. Nach einem Telefonat mit der Touristeninformation fuhren wir mit einer Rikscha wieder zurück nach Hospet, um dort festzustellen, dass der Zahnarzt erst abends ab 18h Sprechstunde hatte. Nachdem der Arzt mir dann erklärte, dass mein Zahn in zwei Hälften zerbrochen war und dass das wohl nur mit einer Krone zu retten sei, bekam ich unter dem albernen Gekicher zweier so genannter Arzthelferinnen in bunten Saris eine provisorische Zementfüllung verpasst. Aus dem Behandlungsstuhl konnte ich zwischendurch ein paar Affen auf der Strasse beobachten. Alle inklusive bezahlte ich dann umgerechnet 3 Euro. Unser Rikschafahrer stand inzwischen auch schon mit einem Freund neben meinem Behandlungsstuhl und nutzte die Chance, den Arzt zwischen Tür und Angel auch noch mal schnell in seinen Mund schauen zu lassen. Da war vermutlich nichts mehr zu retten und auf gings wieder Richtung Hampi.
Erst am nächsten Tag hatten wir ausgiebig Gelegenheit, die Umgebung zu erkunden. Und die ist tatsächlich atemberaubend! Auf den Bildern könnt Ihr sehen, welch tolle alten Bauwerke und Tempelruinen dort einfach so in der Gegend herumstehen. Und alles ist so friedlich und für indische Verhältnisse echt ruhig. Da wir auf die Angebote der Rikschafahrer verzichteten („Viiiel zu weit! Viiiel zu heiss, um zu Fuß zu gehen…!“), hatten wir das Glück, die Tour per pedes erkunden zu können und das Landschaftsschauspiel, das wir zu sehen bekamen, war enorm! Hier und da trafen wir auf indische Pilger-Familien, die sich in der Nähe des Ortes versammelten, um am darauf folgenden Wochenende das alljährliche Shiva-Festival in den örtlichen Tempeln zu feiern. Sie badeten entweder sich selbst und wahlweise ihre Kinder oder Kleider im heiligen Nass des Flusses, der das Land hier in zwei Hälften teilt und somit eine witzige Überfahrt mit einem mehr oder weniger einladend aussehendem Boot ermöglicht. Andere Anwohner bieten auch eine Rundfahrt in besseren Wäschekörben, die mit Paddeln fortbewegt werden, an. Da es an diesem Abend schon dunkel wurde, konnten wir auf dieses Angebot dann leider nicht mehr zurückkommen.
Am nächsten Tag liehen wir uns Fahrräder, um die paar Kilometer in der Mittagshitze nicht zu bequem zurücklegen zu müssen. Dies war wohl nicht meine sportlichste Leistung – bereits nach dem ersten Hügel erschien mir diese Idee mehr als wahnwitzig und ich verfluchte alle Inder, die auf diesem Wege mit uns ein Geschäft gemacht hatten. Zum Glück bieten sich in den riesigen Palmenhainen entlang der Strassen ständig Gelegenheiten, nicht weiterstrampeln zu müssen und stattdessen lieber die eine oder andere Kokosnuss zu entleeren. Bevor wir die erste Sehenswürdigkeit erreichten, haben wir einem Farmer aus einem benachbarten Dorf zunächst einmal einen längeren Besuch abgestattet. Dieser Farmer lud uns dann zu unserer Überraschung ein, am nächsten Tag mit seiner Familie in seinem Haus zu Abend zu essen und das Shivafest zu feiern. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag für 17.30h.
Zunächst schauten wir uns jedoch noch die alten Elefantenstallungen und das Königinnenbad an – alle Bauten unterliegen einer tollen Synthese islamischer und hinduistischer Architektur! (Fotos)
Am nächsten Morgen ließen wir uns mit der ramponierten Fähre auf die andere Seite des Flusses bringen. Von dort aus überredeten wir einen Rikschafahrer, uns für einen fast lächerlichen Preis (dennoch ist die Fahrt eines Touris immer noch ein Segen des Himmels) zu einem nahe gelegenen Stausee zu fahren und uns dort nach 3 Std. wieder abzuholen. Nachdem ich die ersten drei Wochen ohne Sonnenbrand überlebt hatte, holte ich dort alles diesbezüglich Versäumte nach. Gut abgekühlt bzw. eingeheizt fuhren wir abends zu unserer Verabredung.
Als wir an der Bananenplantage unseres Gastgebers ankamen, waren wir natürlich gezwungen, den guten Geschmack seiner Früchte unter Beweis zu stellen, indem wir immer mehr davon entgegen nahmen und verdrückten. Alles andere hätte er vermutlich als Beleidigung empfunden, so dachten wir und aßen fleißig weiter. Vielleicht wunderte er sich aber auch nur, weshalb die Deutschen immer soviel essen… Er fragte, welche Früchte denn in Deutschland wüchsen. Als wir seine Fragen nach Bananen, Ananas und Papaya verneinen mussten, lächelte er zufrieden und blickte stolz auf sein Land – wieder einen Menschen glücklich gemacht. Ein Bekannter oder Verwandter – irgendwie sind hier alle miteinander Verwandt und viele sehen erschreckend gleich aus – sollte uns mit seinem Motorrad zu seinem Haus im nächsten Dorf bringen, wo uns seine Familie erwarte. Also fuhren wir entsprechend der indischen Gewohnheiten zu dritt auf einem Motorrad los. Ich saß hinten, Daniel wackelte in der Mitte, einen Kuchen in der rechten Hand balancierend, den wir als kleine Aufmerksamkeit für die Familie mitgebracht hatten und der bei unserer Ankunft keines Blickes gewürdigt wurde: deutscher Apfelkuchen – was soll denn das? (Und wie bitte soll man denn so etwas mit den Fingern essen?)
Im indischen Zuhause angekommen versammelte sich alles, ungefähr 15 Erwachsene und ca. 20 Kinder vor dem Fernseher, neben uns die Hauptattraktion des Abends. Die Familie war keineswegs arm. Neben einem großen Wohnraum, in dem neben dem Fernseher noch eine kleine Bank und zwei Stühle standen, gab es eine sehr große Küche und ein weiteres Zimmer, das vermutlich als Schlafzimmer diente. Viele Familien verfügen nur über ein einziges Zimmer, in dem alle zusammen auf ausgebreiteten Matten oder dünnen Matratzen schlafen. Ein großer Teil der Familie bewohnte die umliegenden Häuser, die sich sogar um einen kleinen hauseigenen Tempel gruppierten. Die Religion bestimmt hier in Indien ALLES. Man kann den Leuten auf dem Land nicht erklären, man glaube nicht an Gott. Also steht fest: Daniel und ich sind zutiefst katholisch und verheiratet. Kinder? Leider noch immer keine. Ja, ja, bald bestimmt (unten herum alles in Ordnung). Die besorgten Gesichter der Frauen streifen deutlich meinen Unterleib: klarer Fall – nix zu sehen.
Dann gibt es Essen. Bis dahin gaukelte mein betrübtes Hirn mir nostalgische Bilder einer fröhlich bunten Riesen-Familie an einem festlich gedeckten Tisch vor… Es dauert manchmal lang, sich von allen europäischen Gegebenheiten zu lösen. Ein paar Frauen trudelten aus der Küche in den Wohnraum und häuften geschäftig Essen auf drei Teller. Unser Gastgeber bat uns, uns zu ihm auf den Boden zu setzen. Essen bedeutet in Indien lediglich Nahrungsaufnahme und ist darüber hinaus nicht als kulturelles Ereignis anzusehen. Daraus ergibt sich, dass jeder für sich isst und dies meistens an einem versteckten Plätzchen, wo er seine Ruhe vor den anderen Familienmitgliedern hat. Also zerbrach meine verklärte Vorstellung schnell an der Realität einer Kultur, die sich oftmals als reiner Überlebenskampf heraustellt und ich setzte mich erwartungsvoll auf meinen Allerewertesten. Sobald mein Teller auch nur annähernd leer war, sprang ein weibliches Wesen mit einem Satz aus irgendeiner Ecke auf mich zu, um mich weiterhin zu mästen. Das Essen war sehr gut. Es gab Reis mit frittierten Chilischoten, eine scharfe Currysauce (was sonst!?), Joghurt und eine Art süßen Kuchen, der nach europäischen Essensregeln eher den Eindruck machte, er wäre aus Versehen in die Hauptspeise gefallen.
Beim besten Willen konnte ich meinen Teller nicht vollständig leeren – dachte ich. Aber die mahnende Gestik der Oma ließ mich in Gedanken das Frühstück des nächsten Morgens und dann auch das Mittagessen streichen.
Nach dem Essen durften wir das Haus und den Tempel besichtigen. An allen Wänden hingen Bilder der Götter gemischt mit den Fotos der Familienältesten. Die Wände waren bunt gestrichen und überall blätterte die Farbe. Aufgrund des jährlichen starken Monsums schimmelt Indien hier und da so vor sich hin. Das letzte Mal, dass ich eine solche Küche gesehen hatte, war auf Burg Eltz in der Eifel. Anerkennend schenkte ich den im Knien kochenden Frauen mein bestes Shiva-Day-Lächeln und kassierte dafür ein paar Kekse, die Daniel und ich daraufhin auch noch verdrücken mussten. Danach lächelte ich nicht mehr, sobald wir nur in die Nähe einer Küche kamen.
Den größten Alarm verursachte meine Kamera. Natürlich kennen die Leute eine Menge Kram aus dem Fernsehen, aber keiner von ihnen hat jemals eine Digi-Cam live und in Farbe gesehen. Und genauso gehen sie damit auch um, wenn man sie lässt. Ein einziges Mal habe ich versucht, ihnen zu zeigen, wie man ein Foto macht, aber tatsächlich fehlte es einfach an Feinmotorik, um die Kamera gleichzeitig auf das Objekt der jeweiligen Begierde zu richten und gleichzeitig aufs Knöpfen zu drücken – geschweige denn davon, einen Zoom zu betätigen. Nachdem ich ungefähr 1000 Fotos von der Uroma mit dem Uropa und der Tante mit dem Neffen, dem Vater mit der Tochter, der Tochter mit der Tante…geschossen hatte, neigte sich der Abend unter viel Händewinken und Gerufe dem Ende. Indien geht früh schlafen. Es war fast neun Uhr und wir verpassten gerade den letzten Bus. Als Beweis dafür, dass ein guter Hindu keinen Alkohol trinkt, erklärten uns ein paar völlig betrunkene Inder, dass wir eine Rikscha nehmen müssten,um zurück nach Hampi zu gelangen. Das taten wir dann auch. Wir umgerechnet 60Cent fuhren wir in die Nacht hinein und gelangten in den Tumult, den so eine Shiva-Nacht und ihre Pilger mit sich bringen. Der Haupttempel war erfüllt von Räucherstäbchen-Luft und den Schlafmatten der Tausende von Pilgern, die sich dicht an dicht auf dem Boden zur „Ruhe“ legten. Von allen Seiten wurden wir wieder belagert – Shiva war nichts dagegen! Schnell flüchteten wir uns in unser Guesthouse. Müde und völlig überfressen.
Zwei Tage später nahmen wir bei Sonnenaufgang eine Rikscha zum Bahnhof in Hospet. Von dort aus sollte es weitergehen nach Hubli, einer völlig unspektakulären Stadt mitten im Nichts. Erwähnenswert erscheint mir außer dem Gestank und dem Dreck am, im und um den Bahnhof herum nichts. Ein paar Bettelkinder gingen uns zudem schwer auf die Nerven (man kann nicht immer Mitleid haben). Nein, Hubli schnitt nicht gut ab und so nahmen wir schnell, schnell den nächsten Zug über Bangalore nach Kerala. Wir hatten Glück: der Zug war für indische Verhältnisse ungewöhnlich leer und wir hatten – dies war ein Nachtzug – die jeweils obersten Schlafpritschen des Abteils, die ein kleines bisschen mehr Privatsphäre vermitteln (Fotos). Unter uns schlief eine indische Familie, die uns zwischendurch mit Keksen fütterte. Wir hatten uns essenstechnisch auf die üblichen Zugverkäufer verlassen, die normalerweise in jedem indischen Zug laut grölend durch die Gänge laufen und einen beim Schlafen stören. Geschlafen haben wir bestens, aufgewacht sind wir mit einem Bärenhunger: die Strecke ist bei den Verkäufern aufgrund ihrer mangelnden Frequentierung unbeliebt und später stellte sich heraus, dass wir tatsächlich sogar gerade die letzte Fahrt auf dieser Strecke erlebten.
Am nächsten Mittag kamen wir in Ernakulam an. Mit einer Fähre setzten wir für umgerechnet 10Cent auf die Insel Fort Kochi über. Hier fanden wir schnell ein preiswertes Hotelzimmer und vor allem einen Zahnarzt, der sich hämisch grinsend und mit Dollarzeichen in seinen Augen über meinen Zahn hermachte. Die Tage in Kochi waren nicht besonders schön. Die Stadt ist nicht so unannehmbar wie andere Städte, aber es wollte nicht so recht gute Stimmung aufkommen und ich litt unter den verschiedenen Zahnbehandlungen auf indische Art und Weise. Mal wieder merkte ich, wie pingelisch europäisch ich bin. Die Apparatur machte keinen besonders ermutigenden Eindruck auf mich und im Wartezimmere stand groß und breit ein Agregat, da in Indien jeden Tag mindestens einmal der Strom für längere Zeit komplett ausfällt. Da ich erst in ein paar Tagen meine Krone eingesetzt bekommen sollte, machten wir uns schnell auf den Weg weiter Richtung Süden in einen Ort namens Allepuzah. Hier wollen wir ein paar Tage in den bekannten Backwaters verbringen. Für meinen Geburtstag haben wir ein fettes Hausboot inklusive Kapitän und Koch gemietet. Die Fotos seht Ihr demnächst hier auf dieser Seite!

Hannah