2006/03/30

Andamanen (30.3.2006)


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Die Andamanen und Nikobaren sind eine ziemlich große Inselgruppe mitten im indischen Ozean. Obwohl sie politisch zu Indien gehören sind die 600 Inseln eigentlich ein Teil Südostasiens und die Spitze eines riesigen Unterwassergebirges, das von Myanmar ausgehend nach Süden hin in Sumatra und Java weiterläuft. Sie laufen auf indischer Einheitszeit, was in diesen Breiten (beziehungsweise Längen) dann Sonnenaufgang um halb fünf bedeutet.

Im Auftrag des Independent hat ein deutscher Forscher Anfang des Jahres eine „Formel für den Traumstrand“ erstellt, die die Andamanen, vor den Malediven und den Seychellen auf Platz 1 rechnet. Fragwürdig, aber nachzuvollziehen. ;) Die Leute hier sind auf jeden Fall mächtig stolz.

Traurigerweise sind die Inseln erst durch den Tsunami 2004 bekannt geworden, als viele der südlichen Inseln (Nikobaren) schwer getroffen wurden. Offiziell starben hier 6000 Menschen, uns wurde aber gesagt, dass diese Zahl ums zehnfache untertrieben ist, da die Regierung Entschädigung sparen will. Wir haben Amateurbilder sehen können, die Welle zeigen: unfassbar. Eine Insel mit (zuvor) 12000 Einwohnern wurde komplett von der Welle leer gefegt. Eine unglaubliche Naturkatastrophe.

Die Inselgruppe ist touristisch praktisch nicht erschlossen und die allermeisten Inseln sind unbewohnt und nicht zugänglich. Tatsächlich gibt es auf den Inseln noch Urvölker, die noch keinen Kontakt zur Außenwelt haben. Speziell die Onge (leben unter anderem auf North Sentinel Island) zeichnen sich dadurch aus, dass sie Versuche, mit Booten auf ihren Inseln zu landen mit einem Hagel aus Pfeilen quittieren. Mir war nicht bewusst, dass es so etwas überhaupt noch gibt. Die Siedlungen der Janwar wurden in den 50er Jahren von der indischen Regierung bombardiert, da sie die zuströmenden indischen Siedler angriffen. Heute haben sie geschützte Reservate auf den Hauptinseln zur Verfügung. Die Andamesen waren von vorneherein sehr aufgeschlossen gegenüber Indern und Briten, was ihre Ausrottung durch Grippe-Viren zur Folge hatte. Die Nikobaresen sind angepasster aber haben sich wohl einen Rest eigener Kunde bewahrt: aufgrund alter Überlieferung oder durch wachsames Beobachten des Verhaltens der Tiere (ist nicht so ganz klar)… flüchteten sie in den Urwald, bevor die Welle anrollte – und überlebten.

Wie alle Anreisenden landeten wir in Port Blair, der einzigen Stadt der Andamanen. Trotz tropischer Lage unterscheidet sie sich nicht sonderlich von jeder anderen indischen 150000-Einwohnerstadt, sprich nicht besonders ansprechend… also nahmen wir mit zwei Deutschen, die wir am Flughafen kennen gelernt hatten, sofort die Fähre auf eine der Inseln. Da nur die „Haupttouristeninsel“ Havelock Island an diesem Tag angefahren wurde, schmissen wir unsere Neil-Island-Pläne kurzfristig über Bord.

Havelock erwies sich als bei weitem weniger entwickelt als erwartet, weswegen ich auch die Anführungszeichen gesetzt habe. Touristisch erschlossen bedeutet hier mehr, dass es überhaupt Übernachtungsmöglichkeiten gibt – wovon Havelock mit 300 Betten (Hängematten mitgerechnet ;)) die meisten hat. Die gute Informationsversorgung der israelischen Traveller auf der Suche nach schönen, unerschlossenen (und damit günstigen) Reisezielen sorgte jedoch für einen erheblichen Zustrom, so dass die Ressorts völlig überfüllt waren. Nachdem wir uns schon mit einem Schlafplatz im Restaurant vom Pristine Ressort abgefunden hatten, hatten wir im Eco Ressort doch noch Erfolg und fanden die letzte freie Hütte.

Zu unserer großen Freunde marschierten Helen (aus Schweden) und Kaala (eigentlich Alessandro, aus Italien), unsere Bekannten aus Goa, just an diesem Abend in das „Restaurant“ (große Bambushütte mit Matten) unseres Ressorts. Auch sie hatten sich erst nach Goa dazu entschieden, auf die Andamanen zu fliegen – und waren genauso perplex, dass wir uns wieder treffen. Sie waren an den Abend nur in unserem Ressort-Restaurant, weil in ihrem Ressort alle Angestellten inklusive Koch in den Wirren des gerade stattfindenden Holi-Festivals, eine Art indischer Karneval mit Farbbeuteln statt Bonbons, verschwunden waren.

Am nächsten Morgen zogen wir zusammen ins Amazon Ressort um. Hier waren noch zwei benachbarte Hütten frei, nicht zuletzt, deswegen, weil es sich der sympatische Betreiber Stanley mit dem Mädel vom Lonely Planet über einen „Discount on Lobster“ verscherzt hatte. Falls ihn jemand nicht kennen sollte: Der Lonely Planet ist DIE Traveller-Bibel überhaupt.
Da Stanley einen „shanti“ (Hindi für „langsam/ruhig“) Ort bevorzugte, blieben wir die nächsten zwei Wochen dort: Zwar haben wir beide nichts gegen einen feinen Elektrobeat einzuwenden – aber Isreal-Psy-Trance a la Infected Mushrooms um 7 Uhr morgens muss ja nun echt nicht sein. Dass die meisten Israelis gerade aus 3 Jahren israelischer Armeen kommen und einen drauf machen wollen, ist zwar zu verstehen, machte sie aber ziemlich unbeliebt bei den Indern und den anderen Travellern. In der Praxis heißt dass, Ressorts mit zu hohem Israeli-Anteil zu meiden, wenn einem Schlafen und Ruhe wichtig sind. Wenigstens ist die Musik (meistens) ganz gut.

In den folgenden zwei Wochen verbrachten wir die meiste Zeit mit Lesen, Schnorcheln und Hängematting. Einige Tage nachdem wir Alessandro und Helen wieder getroffen hatten, begegnete uns auch Janus (aus Dänemark) noch mal, den wir ebenfalls in Goa schon getroffen hatten. Er hat sich inzwischen (oho!) eine deutsche Freundin namens Anna angeschafft hatte. ;)

Unsere Hütte lag direkt am Strand („Beach Number 2“ in der Nähe von „Village Number 3“), weswegen wir nur selten andere Teile der Insel ansahen – wenn, dann meistens um den Tropentraum schlechthin („Beach Number 7“) zu besuchen.

Hannah hatte leider zwischen durch eine arge Gastritis. Nach der zweiten Nacht mit üblen Magenschmerzen besuchten wir das „Hospital“ der Insel: überraschenderweise wirkte der Arzt kompetent – und: da Regierungshospital, waren Behandlung und Medikamente umsonst. Hannahs Gastritis fesselte uns einige Tage ans Ressort und brachte mich dazu meine mit 10 Jahren beendete Schach-Karriere wieder aufleben zu lassen. Schliesslich ging es ihr zum Glück besser.

Sehr schön war unser länger in der „Konzeptphase“ angedachtre Bootsausflug, den wir mit Chirit aus Israel, den beiden Deutschen, dem Ressortbetreiber Stanley und seinem hervorragenden Koch Ramu zum Schnorcheln und Fischen machten. Als endlich einmal alle gleichzeitig anwesend und gesund waren und auch noch die Sonne schien, ging es endlich los. Mit „Motorschaden“ als Erklärung für die eventuell auftauchende Nationalpark-Polizei blieben wir leider an einem Traumstrand auf einer unbewohnten Insel liegen (Fotos) – so ein Pech ;).

„Beach Number 7“ ist sicherlich eines der Highlights bis jetzt: Ein zwei Kilometer langer, kristallweißer Sandstrand in Form eines Halbmondes. Türkises Wasser, perfekte Wellen, Urwald im Hintergrund – viel besser wird es wohl nicht. Zum Glück darf an dem Strand nichts gebaut werden, aufgrund der Regeln im Nationalparks (die auch für die kuriosen Nummern-Namen verantwortlich sind). Die indischen Touristen, falls vorhanden, bewegen sich nicht von aus den 50m Küstenlinie unmittelbar am des Ende des Weges zu Strand 7 weg. Das heißt, die 2 Kilometer Strand sind komplett leer, außer einer kleinen Stelle, wo 100 Leute auf einmal baden. Kurios. Dazu muss man wissen, dass die Inder zum einen meist nur eine Stunde im Rahmen einer organisierten Pauschalreise an den Strand kommen (Individualismus ist generell keine der hervorstechenden Eigenschaften Asiens) – und zum anderen, weil die meisten Inder einfach nicht schwimmen können (böse gefragt: wie auch mit Klamotten an?).

Unsere Lieblingsstelle war „die Lagune“: ein kleiner Strand, der sich relativ abseits an das nördliche Ende von „Beach 7“ anschließt und aus 2 Korallenriffen rechts und links und einem zum Schwimmen geeigneten Sandteil in der Mitte besteht. Das Schnorcheln hier stellte sich als ziemlich unglaublich heraus: wir sahen große, bunte Fischschwärme, Hummer, Seeigel, Barrakudas, Riesenmuscheln und „Nemos“ in ihren Anemonen. Dazu alles an Weich- und Hartkorallen, was die Tropen hergeben. Über- und Unterwasser ein wunderschöner Ort.

Eine andere Stelle, die man auf Havelock ansteuern kann ist „Elefant Beach“ – mangels Namens von den Touristen so getauft, weil im Urwald dahinter Arbeitselefanten, hier noch sehr begehrt, ihren Dienst verrichten. Der Weg ist nicht ausgeschildert und führte ca. 45 Minuten durch tiefen Urwald, der mit einer entsprechenden Klangkulisse aufwartete. Nach Einbruch der Dunkelheit sollte man sich nicht am Rückweg versuchen! Der Strand selber ist von Tsunami komplett zerlegt worden: der Sand ist größtenteils abgetragen, die erste Baumreihe liegt als Leichen quer über dem Strand, was das ganze etwas unwirklich erscheinen lässt. Sollten wir der Meinung sein, vorher beim Schnorcheln schon viel gesehen zu haben: hier steigt man in das absolute Aquarium. Hannah sah einen Fisch wieder, den sie nur aus Kinderbüchern kannte: den hochgiftigen Zebrafisch. Sie war begeistert vom Schnorcheln, und mit der Einschränkung auf die Wasseroberfläche nicht einverstanden: ich glaube, das mit dem Tauchkurs ist keine Frage mehr.

Aber apropos hochgiftig: Eine ca. 3 Meter Schlange, ebenfalls giftig, schreckte die Israelis, die sich gerade am Strand vor unserem Ressort mit eine paar Joints (auf den Andamanen wird das eher liberal gehandhabt) bequem gemacht hatte, auf. Mit gebührendem Abstand folgten ihr alle, was sie dazu veranlasste, sich die erste Deckung zu suchen, die sie finden konnte: die Veranda unserer Hütte! Ein indisches Kind wurde auf der Insel nur einige Woche zuvor von eben dieser Spezies, wie die meisten hier eine endemische Art der Andamanen übrigens, gebissen – und starb. Daher fand sich letztlich eine Mehrheit für die etwas martialische Kopf-Ab-Lösung die mit den Bildern dokumentiert ist (sie sind nicht von unserer Kamera: die war in der Hütte, und ich hatte irgendwie wenig Lust sie zu holen). Stanley lud das schlechte Karma auf sich und erledigte die Schlang mit einem gezielten Macheten-Hieb. Die unromantischeren Seiten der Naturnähe im Nationalpark stellten wir dann am Abend direkt noch einmal fest: ein (ebenfalls giftiger, wenn auch nicht tödlicher) 20x4cm-Hundertfüssler kletterte aus Hannahs Unterwäsche! Sie hatte sie zum Glück nicht an. Tja, die Tropen sind nicht Sylt. Die Schlange, auf die Hannah auf dem Heimweg um ein Haar drauf getreten wäre – war aber ungiftig, wie uns die Inder versicherten. Na ja, wir waren beide froh, dass ich auch im Halbdunkel noch gut sehe, und Hannah im letzten Moment festgehalten habe.

Mein Geburtstag (am 27.) war sehr schön: Wir saßen mit den Leuten unseres Ressorts im Strandhütten-Restaurant. Nachdem wir Ramu extra gefangene Hummer verspeist hatten brachte Hannah mir das Handy des Bruders des Freundes des Nachbarn des Ressortbetreibers (oder so ähnlich)… andere Mobilnetze funktionieren auf den Andamanen nicht. Die Zeitverschiebung mit etwas kruden 4,5 Stunden und der Wechsel von Winter- auf Sommerzeit in dieser Nacht sorgten dafür, dass ich Geburtstagsständchen per Telefon so ziemlich zu jeder vollen halben Stunde von halb elf bis eins erhielt. ;) Meine Oma war aber pünktlich. Um Mitternacht durfte ich die Kerzen an meinen Kitsch-Revanche-Geburtstagskuchen auspusten. Hannah schenkte mir einen liebevoll gebastelten Gutschein über eine Nacht einem luxuriösen Taj-Hotel nach Wahl (etwa das Lake Palace Hotel in Udaipur, das aus Octopussy) – was mich sehr freute. Die Taj Hotels sind die pompösen ehemaligen Maharaja-Sitze in wüstenreiche Rajasthan in Nordindien.

Nach zwei Wochen auf den Andamanen nahmen wir die Fähre zurück nach Port Blair. Hatten ein paar Unterhaltungen mit einigen Indern, die ausnahmsweise mal keine monetäre Transaktion zum Ziel hatten.
Unter anderem schenkte mir ein Sikh namens Singh sein Mittagessen, für das er schlauerweise ein Gutschein erworben hatte. Natürlich nicht auf dem Schiff, sondern von einem Reisebüro, dass sie von dem Fährbüro erworben hat, dass sie wiederum im Auftrag der Fährgesellschaft verkauft… oder so. Kostet dann aber nur 25Rs, also knapp 0,5€. Danke auf jeden Fall für die schmackhafte Rettung vor der Bürokratie. Diese ist in Indien allgegenwärtig: sogar für den Kauf eines Bahntickets zweiter Klasse muss man ein Formular ausfüllen. Formulare enthalten üblicherweise auch Angaben wie „Name of husband or father“ als Pflichtfelder. Auch das Fotografieren von Lokomotiven erfordert in diesem Land eine schriftliche (aber kostenlos auf schriftlichen Antrag hin zu erhaltende) Genehmigung. Eventuell sollte man im Zeitalter von Google Earth solche Regelungen noch einmal „für 5 Cent überdenken“ (O-Ton Hannah).
Fast alle Sikh heißen Singh („Löwe“), was der Effizienz des Telefonbuchs von Amritsar schaden dürfte, mutmaße ich jetzt mal. Die Sikh scheinen ganz nett zu sein, vor allem gelten sie als zuverlässig. Warum gerade die Sikh mit ihren Turbanen zum Klischee-Inder-Bild im Westen wurden, ist mir allerdings schleierhaft: zum einen sehen sich die aus Punjab stammenden Sikh nicht wirklich als Inder (siehe Indira-Ghandi-Mord), zum anderen gibt es nur 20 Millionen von ihnen in ganz Indien. In einem Land mit einer Gesamtbevölkerung von bald 1,3 Milliarden ein Klacks.

Hannah bekam dagegen einen Tee von einem Ingenieur aus der Nähe von Bopal (leider nur bekannt wegen eines üblen Chemieunfalls) geschenkt und musste als Fotomodell für Heerscharen junger Studenten herhalten. Wir griffen unseren Bombay-Witz („photo 10 rupees, girl alone 50 rupees“) wieder auf. Die Stimmung auf der Fähre war gut – ein älterer Israeli, der mit seinem Sohn durch Indien reiste, überredete mich schließlich dazu, mit ihm in die bengalischen Tänze auf dem Oberdeck einzusteigen (Fotos).

Wir hatten unsere Flüge umgebucht, um von unserem Treffen mit Wagma in Pakistan noch genügend Zeit für Nordindien zu haben. So verließen wir Port Blair am 30. März mit Air Deccan, dem indischen Billigflieger, in Richtung Kalkutta…

Daniel

Kalkutta (30.3.2006)


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Oh Kalkutta! Als Armenhaus Indiens in den Reiseführern und bei mehreren modernen Schriftstellern des letzten Jahrhunderts als „ein einziger, hoffnungsloser Haufen Scheiße“ beschrieben, zunächst nicht unbedingt der Ort, an dem man viel Zeit seiner Reise verbringen möchte… Das dachten wir uns jedenfalls und waren höchst erstaunt, immer wieder auf Reisende zu treffen, die sogar mehrere Wochen dort verbrachten und die Stadt angeblich liebten. Die Menschen seien so nett und alles sei überhaupt so wunderbar! Können sich denn so viele Menschen getäuscht haben? Oder hatten wir es lediglich mit durchgeknallten Drogenabhängigen zu tun, die im Nebel ihres Wahnsinns die Realität nicht mehr wahrzunehmen vermochten!???
Kalkutta ist auf den ersten Blick, in unserem Falle der Landeanflug von den Andamanen, überhaupt nicht schockierend. Viel Grün, Prachtstrassen und natürlich der obligatorische verseuchte Fluss, der uns nach all den Wochen Indien nicht mehr erschrecken kann.
Eine Millionenstadt, von denen laut Reiseführer zwei Drittel in den Slums wohnen.
Fuhr man in Bombay geradewegs aus den Slums heraus um in die Innenstadt zu gelangen, so waren hier in Kalkutta zunächst nur weit angelegte Strassen und Grüngürtel zu sehen. Fast war ich schon ein wenig enttäuscht, als unser Taxi dann endlich mit einer scharfen Wende in den puren Orient abtauchte. Da waren sie. Schreiende Rikschafahrer auf ihren klapprigen Rädern (kaum Motorrikscha, sondern Fahrrad- oder Laufrikscha), schreiende Straßenverkäufer, schreiende Mütter, permanentes Hupen von allen Seiten, breite Lächeln aller Passanten, die neugierig versuchten, schnell noch einen Blick auf die blonde Besatzung des Taxis zu erhaschen, trotz all des Lärms immer wieder Schlafende an den Straßenrändern, die sich vor der scharfen Mittagshitze zu retten versuchten – das ganze Programm!
Die Bengalen sind berühmt für ihr Temperament und ihre Hitzköpfigkeit. Zuvor hatten wir schon öfter Bengalis mit den Fäusten aufeinander losgehen und sich anschreien gesehen, was für die Inder im Allgemeinen als sehr unhöflich gilt. Aber in den Strassen Kalkuttas mischt sich dieses Temperament mit einem gewissen Humor unter das Volk. Hier wird gehandelt, geschrieen, gelacht und …geflirtet! Schmierige Bemerkungen an jeder Straßenecke war ich nach zwei Monaten Indien ja nun schon gewöhnt. Aber die Männerwelt Kalkuttas sieht einen Flirt ähnlich wie die Italiener in Europa wohl eher als eine Art Volkssport an und so wurde ich alle fünf Meter mit netten (und gar nicht fiesen) Kommentaren überhäuft. Wo bitte haben sie denn das gelernt (Nein, natürlich trug ich keinen Minirock!)!?
Da wir nur den einen Tag in Kalkutta verbrachten, wäre es sehr anmaßend, mich näher über die sozialen und politischen Verhältnisse der Stadt auszulassen. Wir brauchten fast zwei Stunden, um unser Gepäck zum Hauptbahnhof zu bringen, von dem abends bereits der Zug nach Varanasi weitergehen sollte. Und erst im Norden der Stadt, anschließend an das Gebiet des Hauptbahnhofes sollten die schrecklichen Slums liegen, die uns somit erspart blieben. Aber das, was wir in diesem einen Tag von Kalkutta gesehen haben, war nicht annähernd so schlimm wie erwartet. Im Gegenteil, auch ich hätte mir tatsächlich vorstellen können, noch ein bisschen länger dort zu bleiben.
Bevor wir uns jedoch auf die Reise nach Varanasi machten, hatten wir noch eine wichtige Mission: Matthias und Kari, zwei Norweger, die wir bereits am Flughafen in Port Blair kennengelernt hatten und die ebenfalls nach Varanasi wollten, hatten sich in den Kopf gesetzt, einen Pizza Hut aufzutreiben, um ihren lang geschürten Pizza-Heisshunger (sie waren über vier Wochen auf den Inseln, auf denen so gut wie keine Infrastruktur bestand) zu befriedigen. In Null-Komma-Nichts hatten sie mich infiziert und alle zusammen saßen wir bald darauf in einer Rikscha auf der Suche nach der heiligen Pizza.
Gut gesättigt befanden wir uns einige Stunden später im Zug und schliefen der Heiligen Stadt entgegen.

Hannah

2006/03/14

Madras (14.3.2006)


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Am Morgen des 12. März verließen wir mit dem Bus Munnar und machten uns auf den Weg nach Madurai, einer berühmten Tempelstadt in Tamil Nadu, dem südöstlichsten Bundesstaat Indiens. Dies erwies sich leider nicht als so einfach wie wir zunächst dachten. Mal wieder!

Nach einer zweistündigen Busfahrt sollten wir Zwischenstopp in woauchimmer machen, um von dort aus den Schnellbus nach Madurai zu nehmen.


Nach Ewigkeiten kamen wir in Madurai an. Hier ergab sich das nächste Problem. Ein Zugticket zu kaufen, ist in Indien eine zeitaufwendige und komplizierte Sache. Hier muss man wirklich beweisen, dass man tatsächlich mit dem Zug an einen bestimmten Ort fahren möchte. Man braucht einen Pass bzw. Reisepass, viel Geduld, die Sprachbarriere (auch am Touristenschalter, wenn besetzt) zu bewältigen und natürlich ein sehr wichtiges Formular, auf dem man sein Alter, sein Geschlecht und seine Anschrift in der Heimat angeben muss. Für den Fall eines Bahnunglücks ersparen sich die Behörden so ne ganze Menge Arbeit. Bleibt die Frage, ob das zu den ABM gehört oder sich in die Realität umgesetzt tatsächlich lohnt…!? Besser nicht darüber nachdenken.


In Chennai angekommen, fanden wir in der mehr oder weniger unspektakulären Stadt ein ziemlich heruntergekommenes, aber sehr niedliches Guesthouse im Kolonialstil. Hier erholten wir uns ein wenig von den Strapazen bevor wir am nächsten Morgen um vier aufstehen mussten, um zum Flugzeug zu fahren. Das einzige, was mich an Chennai dann doch beeindruckt hat, waren seine großen Shoppingmalls. Denn dort gab es seit langer Zeit das erste Zeichen des Westens: Pizza Hut! Ihr könnt es glauben oder nicht, aber vor lauter Rührung hatte ich Tränen in den Augen. Das war es, was ich wollte: unkomplizierte Essensaufnahme in Form von amerikanisierten und fettigen Pizzastücken – yes!

Auch die Abflugzeit ist in Indien eher eine nicht allzu streng einzuhaltende ungefähre Richtlinie, wann das Flugzeug theoretisch den Flughafen verlassen könnte. Aber das scheint niemand zu stören und Ewigkeiten später saßen wir entspannt in unseren Sesseln und flogen der Sonne entgegen, immer tiefer in den äußersten Osten des indischen Ozeans.



Hannah

2006/03/12

Munnar (12.3.2006)


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Munnar ist ein auf etwa 2000m gelegener Ort, der im Wesentlichen für die Schönheit seiner Landschaft und Teeplantagen bekannt ist.

Endlich saßen wir mitsamt unseres schweren Gepäcks und völlig nass geschwitzt im Bus, der uns nach Munnar bringen sollte. Die Hitze war unerträglich und unsere Ungeduld auch, nachdem wir noch so lange im überhitzen Bus auf die Abfahrt warten mussten. Wild ruckelnd ging es los. Wir hatten den Busbahnhof noch nicht verlassen, als unser Vehikel, das mir sowieso nicht allzu sympathisch und zuverlässig erschien, nun endgültig den Geist aufgab. Wir mussten alle den Bus mit dem Kommentar „only five minutes“ wieder verlassen. Nach ca. eineinhalb Stunden Warterei ohne ein einziges Lebenszeichen unseres Fahrers, begannen wir mit einem Taxifahrer einen Preis auszuhandeln. Für umgerechnet 28 Euro traten wir zusammen mit zwei Mädels aus England, die wir am Bussteig getroffen hatten, die vier-bis-fünfstündige Reise in die Berge an. Es handelte sich um eine der Luxusvarianten der Taxis: ein durchgesessener Ambassador, dessen Interieur wie auch das Äussere sich seit den 50ern abgesehen von einigen Roststellen nicht mehr verändert hatte. Stolz, ein paar Touris abgegriffen zu haben, ließ der Fahrer, der das Alter des Gefährts noch um einiges überschritt, den Wagen durch die Strassen gleiten. Auf indischen Strassen gilt immer: der Stärkere hat Vorfahrt. Sollte unklar sein, wer der Stärkere ist, hat der Mutigere Vorfahrt, in diesem Fall auch meistens der mit der lauteren Hupe. In diesem Punkt hat die Evolution dem Verhalten von Affen noch nicht viel voraus und somit wichen uns alle Rikschas und Möchte-gern-Autos schnell aus dem Weg. Vor Sonnenuntergang hatten wir oft eine tolle Aussicht auf die tolle Landschaft im Landesinneren. Die Gegend lebt von riesigen Wasserfällen, deren Flusslauf uns die Richtung wies. Im Dunkeln mussten wir den Fahrer eindringlichst bitten, die Scheinwerfer anzumachen. Mit ängstlichem Blick erkannte ich so gerade noch den tiefen Abgrund zu meiner Rechten. Den Fahrer schien das nicht zu beeindrucken – vielmehr war er besorgt um seine Lichtmaschine, die nicht mehr lud, wie er uns mit wilder Gestik versuchte klar zu machen. Das wiederum ließ uns relativ kalt und wir bestanden auf eine Nachtfahrt ohne zusätzlichen Spannungseffekt.

Kurz nach unserer Ankunft wurde ich – wie sollte es anders sein – krank. Anscheinend war ich zu optimistisch, nach fünf Wochen ohne Magenerkrankung nicht mehr der Indienkrankheit zu erliegen. Ich erspare Euch lieber die Details. Nur eines: solltet Ihr Nach Indien fahren, sollte eine gute Reiseapotheke einen gewissen Platz in Eurem Reisegepäck einnehmen.
Munnar war wirklich schön und nach der Hitze an der Küste Keralas geradezu erleichternd kühl. Immer noch ziemlich angeschlagen, unternahm ich dennoch mit Daniel zwei Touren in die Berge. Wäre mir nicht wieder so fürchterlich schlecht geworden, wäre die Bustour bestimmt toll gewesen – die Landschaft hätte es verdient! Zumindest wurden wir am Ziel unserer Tour belohnt: aus nächster Nähe konnten wir eine komplette Familie wilder Elefanten beobachten inklusive zweier Mini-Elefanten-Babies, die sich an den Bauch ihrer Mutter drängten. Super!
Außerdem bekamen wir noch ein paar Bisons, einige Steppenhirsche und jede Menge frecher Affen zu sehen. Nachdem wir zunächst immer nur ein paar Schatten im Busch sahen oder irgendetwas rascheln hörten und unser Guide ganz aufgeregt in die Luft sprang und offensichtlich freudig erregt irgendwelche Tiernamen nannte, hatte ich den leisen Verdacht, dass es sich auch hier mal wieder um eine der vielen Touri-Abzocken handelte und vermutlich nur ein Kollege mit einem übergezogenen Fell durch die Büsche kroch und „den Tiger machte“. Aber zum Schluss sah ich ein, dass ich ihm Unrecht getan hatte… Sorry!

Hannah

2006/03/09

Backwaters (9.3.2006)


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Aufgrund meines kleinen Zahn-Unglücks mussten wir das traumhafte Hampi leider recht schnell wieder verlassen und unsere Reisepläne für den Süden kurzfristig ein bisschen ändern. Zunächst war eigentlich ein weiterer Strandaufenthalt in Gokarna (ebenfalls im Bundesstaat Karnataka) geplant. Dieser Ort ist zugleich ein beliebter Pilgerort.
Hier wollten wir uns noch für ein paar Tage dem Strandleben und dem Nichtstun hingeben bevor unsere Route uns wieder zurück auf unsere „Kultur-Strecke“ im Norden führen sollte. Letztendlich kam jedoch alles anders.
Um einen guten Zahnarzt zu finden – mein kleines Zahnproblem entpuppte sich als überhaupt gar nicht so klein – war es am besten, direkt einen modernen Ort im reichen Staat Kerala aufzusuchen und unsere Wahl fiel auf Kochin, da dies laut Reiseführer zumindest noch ein bisschen kulturelles Rahmenprogramm aufwies. Die auf einer Insel vorgelagerte Altstadt „Fort Kochin“ entpuppte sich zwar als Dreh- und Angelpunkt aller Nord-Süd-Reisenden, war jedoch dennoch nicht überstrapaziert touristisch und trotz meiner ohnehin schon angespannten Nervenlage nicht völlig schlimm, obwohl ich glaube, Daniel mit meiner Laune schon das eine oder andere Mal bis an die Grenzen gereizt zu haben… Nachdem wir im „Park Avenue“ eingezogen waren – keine Angst, so pompös war lediglich der Name und Inder haben eine Schwäche dafür, ihre Restaurants und Hotels nach mondänen Orten zu benennen, an denen sie noch nie gewesen sind, weshalb es ihnen auch keineswegs lächerlich erscheinen kann – machten wir uns auf die Suche nach einem Zahnarzt. Meine Angespanntheit ließ uns keine große Wahl und somit wollte ich mein Glück mit dem vom Hotel empfohlenen Dr. Daniel versuchen und die Sache so schnell wie möglich hinter mich zu bringen.
Leute, stellt Euch einen Zahnarztbesuch in Indien nicht wie zuhause im guten Deutschland vor. Nach Feststellen der Sachlage lag es an Daniel und mir, über den Preis meiner Krone, die mir eingebaut werden sollte, zu verhandeln. Ein Viehmarkt ist nichts dagegen und Dr. Daniel machte sich zunächst nicht besonders beliebt, erwies er sich doch trotz immer wieder in Szene gestellter Pseudo-Westlichkeit definitiv als Inder. Dass er und keinen Tee angeboten hat, um den Preis noch ein bisschen in die Höhe zu treiben, hat mich gewundert.
Letztendlich waren wir dann mit 5000 Rupien dabei – ca. 100 Euro für eine massive Vollkeramik-Krone, handgemeißelt in einem natürlich „best quality“-Labor! Natürlich für das Mädchen nur das Beste… Soweit so gut. Erst während der Behandlung wünschte ich mich sehr in die Obhut meines lieben Zahnarztes Herrn Pätzold in Köln zurück! Aber letztendlich ist die Krone drin und da bleibt sie nach fünf Zahnarztbesuchen hoffentlich auch ne Weile. Die Zeit zwischen den öden Behandlungen versüßten wir uns im wahrsten Sinne des Wortes mit super-leckerem West-Kuchen im „Kashi Art-Café“ – eine Oase für alle, die der Indien-Realität für eine kurze Zeit entfliehen wollen (Fotos!).
Zwischendurch hatte ich Geburtstag.
Um die Zeit mit Watte im Mund so angenehm wie möglich zu gestalten, fuhren wir mit dem Bus nach Allepuzah, ca. 80km weiter südlich, das bekannt ist für seine traumhaften Backwaters. Tropischer geht’s nimmer! Die Landschaft ist gesäumt von Kanälen und Bananenplantagen soweit das Auge reicht! Tagsüber ist die Luft derart schwül und drückend, dass man denkt, den in ein paar Wochen einsetzenden Monsum schon spüren zu können. Einen kleinen Vorgeschmack erhielten wir eines Abends beim Abendessen. Auf dem Weg von unserem Zimmer bis unter eine Gartenlaube verlor Daniel in den Wassermassen seinen Schuh, der erst Stunden später mit Rückgang der Wassermassen an einem völlig anderen Ort wieder aufgefunden werden konnte!
Am Tag vor meinem Geburtstag mieteten wir zusammen mit einem Pärchen aus New York, die wir im Guesthouse kennengelernt hatten, ein Hausboot, auf dem wir übernachten wollten. Auf den Fotos könnt Ihr Euch am Luxus dieses Gefährts ergötzen: hinter dem Captain befand sich vorne auf dem Bug des Boots eine große Matraze, auf der wir uns in der Sonne aalten. Daran schloss ein überdachter Wohn- und Essbereich an, an dem uns Mittagessen, Abendessen und am nächsten Morgen auch ein Frühstück serviert wurde (das allerdings ein bisschen mager ausfiel für den verwöhnten europäischen Geschmack, na ja…). Dahinter befanden sich drei wunderschöne Schlafräume mit jeweils eigenem Badezimmer. Zum Sonnenuntergang ankerten wir in einem abgeschiedenen Bereich der Kanäle, von wo aus ich diese tollen Schnappschüsse machen konnte. Nach dem Abendessen entschieden Daniel und ich uns, die Nacht draußen auf dem Bug des Boots zu verbringen. Gut versorgt mit Anti-Moskito-Creme, Anti-Moskito-Räucherspiralen und einer dünnen Decke konnten wir ein tolles Schauspiel am Himmel beobachten: auf der einen Seite des Himmels bot sich uns die ganze Nacht ein etwas entferntes Gewitter, während wir auf der anderen Seite viele, viele Sternschnuppen bewundern konnten. Okay, für alle Nicht-Pärchen ist das jetzt vielleicht alles ein bisschen zu rosa, aber schön war es trotzdem. Da ja mein Geburtstag vor der Tür stand, wusste ich, dass Daniel mit den Kellnern irgendeinen Deal hatte, gab es doch ständig was zu flüstern und zu tuscheln… Schon beim Abendessen stellte sich heraus, dass er versucht hatte, mir eine Flasche heiß begehrten Weißwein zu organisieren. Die Kellner versicherten ihm, ihn besorgen zu können und kamen zurück mit einer Flasche Rotwein, die ungefähr einem portugiesischen Portwein entspricht. In Indien trinkt man halt keinen Alkohol und wenn, dann sicher keinen Weißwein! Und ich glaube, den Jungs hier ist der Unterschied auch nicht so sehr bewusst – macht doch alles breit!???
Nun gut, Portwein war auch nicht verkehrt und nach Wochen ohne Alkohol erzielte er recht schnell seine Wirkung…
Kurz vor zwölf verschwand Daniel dann wieder und stand plötzlich mit einem viereckigen, höchst kitschigen Geburtstagskuchen vor mir! Daneben lag auf einem Tablett eine Kokosnuss mit einem roten Geschenkband. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, was mich erwartete, da wir eigentlich ausgemacht hatten, uns aus Rücksicht auf unser Reisebudget nichts zu schenken. Als ich die Nuss öffnete, befand sich darin ein Fluggutschein für zwei Personen auf die Andamanen!!! Ich konnte es kaum glauben. Viele Leute hatten uns bereits erzählt, dass diese Inseln im Indischen Ozean, die geographisch gesehen definitiv schon zu SO-Asien zählten, absolut traumhaft sein sollten. Da ich in den Tagen zuvor wirklich sehr von Indien und allem Terror, der sich ereignet hatte, genervt war, hatte Daniel heimlich die Tickets an die Traumstrände gebucht und ich war ihm sehr, sehr dankbar. Mein Nervenkostüm hatte sich nämlich seit meinem super-harten Semester, unserem Umzug und unserer Abreise noch nicht wirklich regeneriert und ich hatte es satt, ständig als exotisches Blondie stundenlang angestarrt und angelabert zu werden, zumal ich körperlich nicht in bester Verfassung war.
Jedenfalls war ihm diese Überraschung mehr als gelungen!
Am nächsten Tag fuhren wir mit einem kleinen Umweg zurück nach Kochin, wo ich endlich meine letzte Zahnbehandlung erhielt. Danach nahmen wir den Bus nach Erlakunam, der Stadtteil auf dem Festland, von wo aus wir nach Munnar weiterfahren wollten.

Hannah